Warten auf den Prinz
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Von Inken Paletta
Wiesbadens Fußgängerzone gehört zu Deutschlands attraktivsten Shoppingmeilen. Alles nur ein Märchen? Eine Frequenzmessung deutscher Fußgängerzonen 2017 und eine Passantenbefragung der Stadt zeigen: Immer weniger Leute kommen in die Innenstadt.
Beim Schlendern durch Wiesbadens Fußgängerzone fallen vor allem Baustellen, Filialisten und Mobilfunkanbieter ins Auge. Unübersehbar auch der Müll, der nicht nur am Mauritius- oder Bonifatiusplatz neben Papierkörben und unter Bänken liegt. Oft berichteten lokale Medien über Vorfälle im Stadtkern, wie gewaltsame Auseinandersetzungen, Körperverletzungen und vereinzelte Messerattacken. Doch steht es um die Attraktivität und Sicherheit der Innenstadt wirklich so schlecht?
Nebenstraßen attraktiver als Haupteinkaufsmeile
Die Kirchgasse, Wiesbadens Hauptflaniermeile, besteht zu neunzig Prozent aus Filialisten, wie Esprit oder C&A. Ein deutschlandweiter Trend. „Es wird immer mehr online bestellt“, erklärt IHK-Geschäftsführer Gordon Bonnet, zuständig für den Geschäftsbereich Standort und Kommunikation. Viele inhabergeführte Geschäfte halten dem Trend nicht stand, wandern in die Vororte ab oder siedeln sich in den Nebenstraßen an, wo die Mieten günstiger sind. Einige Läden wie Fisch Frickel schließen sogar ganz. Einzelhandelsketten hingegen nutzen Synergien und können sich im Zentrum halten. Ihnen machen hohe Mietpreise von bis zu 160 Euro pro Quadratmeter für Ladenflächen in 1-A-Lagen wie der Kirchgasse nichts aus. Sie haben eine starke Verhandlungsposition. Das zeigt das Beispiel der Espritfiliale, die zunächst ihre Schließung ankündigte, sich mit dem Vermieter dann aber auf einen Kompromiss einigte. Das Überangebot an Handyläden hält Geschäftsführer Andreas Steinbauer von Steinbauer Immobilien hingegen für ein vorübergehendes Phänomen.
„Im hessischen Vergleich liegt Wiesbadens Kirchgasse noch immer auf Platz zwei, gleich hinter der Frankfurter Zeil“, betont Dr. Florian Steidl, Leiter der Abteilung Standortpolitik der IHK Wiesbaden. Zu diesem Ergebnis kam die Frequenzmessung deutscher Fußgängerzonen 2017 des Frankfurter Immobilien-Vermarkters Jones Lang LaSalle. „Auch bundesweit belegt sie in der Kategorie der Städte mit 250.000 bis 500.000 Einwohnern Platz zwei“, so Steidl. „Allerdings weisen die Nebenlagen mit ihren vielen inhabergeführten Geschäften oft eine deutlich höhere Frequenz auf“, berichtet Bonnet. Das zeigt auch eine Passantenzählung der Stadt Wiesbaden. Die Nerostraße ist ein gutes Beispiel für eine belebte Nebenlage, dort hat sich eine florierende „Kaffeemeile“ entwickelt. In den letzten fünf Jahren gab es fünf Neueröffnungen: Kaufmanns Kaffeerösterei, Dale’s Cake, das Buch-Café Nero39, das Café The Friday Cupping Room und das Café de Fleurs. Auch das Walhalla, das aus den Räumen am Mauritiusplatz weichen musste, sorgt seit Mitte Februar im ehemaligen Gestüt Renz für frischen Wind im Kulturleben. „Das Kiezige an der Nerostraße gefällt uns richtig gut. Hier gibt es viele Individualisten und Menschen mit tollen Ideen“, meint Christopher Deyer, Inhaber des Nero39. Um in der heutigen Zeit als kleine Buchhandlung bestehen zu können, müsse man sich allerdings etwas einfallen lassen, meint er. Ein Nischenkonzept sei die perfekte Lösung.
Leerstände und Konkurrenz von außen
Dennoch zeichnet sich in der City ein deutlicher Rückgang der Laufkundschaft ab. Im Jahr 2017 wurden deutlich weniger Passanten gezählt als 2016. Im Vergleich zu 2015 liegt sogar ein Minus von vierzig Prozent vor. Ursachen sind nicht nur die hohen Ladenmieten und die verstärkte Filialisierung. Verstärkt treten Shopping-Zentren wie das Main-Taunus-Zentrum oder städtische Gewerbegebiete wie die Äppelallee in Biebrich in Konkurrenz zur Innenstadt. Sie bieten ein oft vergleichbares Angebot, kostenlose Parkmöglichkeiten sowie ein „Einkaufserlebnis“, das derzeit in der City fehlt. Auch das Lilien-Carré am Hauptbahnhof könnte mit seinem Parkkonzept der City Konkurrenz machen. Die sinkende Beliebtheit der Wiesbadener Innenstadt ist allerdings auch Ursache der vielen Baustellen in der Kirchgasse sowie der Leerstände (z.B. City-Passage und Walhalla). Das findet auch Andreas Guntrum, Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden (SEG): „Es mangelt auf der Haupteinkaufsmeile derzeit an attraktiver Gastronomie und kulturellem Angebot. Wiesbaden hat eine hohe Kaufkraft, aber davon bleibt nicht viel in der City.“ Auch den Inhaber des OlioCeto Feinkostladens, Frank Mayer, stören die vielen Leerstände, etwa die seit langem leere Immobilie der ehemaligen Metzgerei Bellwinkel direkt gegenüber. „Es dauert oft viel zu lange, bis eine leerstehende Immobilie wieder bespielt wird“. Gleiches gilt für das Walhalla. Derzeit prüft das Landesamt für Denkmalpflege die Gutachten zur Bausubstanz. „Erst dann können wir entscheiden, wie es weitergeht“, so Guntrum. Immerhin läuft das Ausschreibungsverfahren für die City-Passage. Ende März soll ein neuer Investor gefunden sein. Vom 23. August bis 2. September wird die City Passage immerhin durch die Wiesbadener Biennale belebt. In die Kirchgasse 72-76 ziehen zudem eine Rossmann- sowie eine Only-Niederlassung ein. Erfreulich ist die Entwicklung in der ehemaligen Mauritiuspassage. Dort befindet sich nun die Stadtbibliothek mit Mauritius Mediathek. In den anderen Teil des Gebäudes zieht die italienische Restaurantkette Tialini ein, in die restlichen Flächen die Wiesbadener Stadtpolizei.
Müll- und Sicherheitsprobleme in den
Abendstunden lösen
Das begrüßt auch IHK-Geschäftsführer Bonnet. „Leider gab es in der letzten Zeit eine Zunahme von Gruppen in der Wiesbadener City, die Straftaten verüben sowie von Konflikten mit Körperverletzungen durch Stichwaffen.“ Die Forderung des Wiesbadener Polizeipräsidenten Stefan Müller nach einer Waffenverbotszone in der Innenstadt hält er deshalb für sinnvoll, ebenso den Einsatz von mehr Streifenpolizisten. Wichtig seien auch eigene Maßnahmen des Einzelhandels, z.B. dass die Läden abends länger beleuchtet sind. Natürlich spiele auch die Sauberkeit für die Stadtattraktivität eine große Rolle. „Das Müllproblem muss endlich angegangen werden“, meint Bonnet. Auf der Frankfurter Zeil habe man das besser im Griff. Und das, obwohl es in Wiesbaden mit der Stabsstelle „Sauberes Wiesbaden“ ein ähnliches Konzept gibt. Der Bußgeldkatalog sei zwar verschärft worden, aber es mangele an Kontrollen und an einer vernünftigen Aufklärung der Bevölkerung. Das Sperrmülltelefon und die Müll-App beurteilt die IHK als positiv. Eine geforderte Erhöhung der Säuberungsfrequenz durch die städtischen Entsorgungsbetriebe soll nach Aussage von Werner Backes vom Amt für Wirtschaft und Liegenschaften künftig umgesetzt werden.
Die City „erlebbar“ machen
Besonders die Nebenlagen weisen ein vielfältiges gastronomisches Angebot auf. Dennoch sucht man nach einem Kinobesuch oder einer Vorführung im Staatstheater in der Innenstadt oft vergeblich nach einer Lokalität mit geöffneter Küche. Viele Restaurants bieten nach 22 Uhr auch keine Snacks mehr an, selbst Getränke sind meist nur bis 23 Uhr zu bekommen. Auch auf der Wilhelmstraße rund um das Casino und das Staatstheater fehle es laut SEG-Geschäftsführer Guntrum an einem guten Gastronomie-Mix. Eine gastronomische Nutzung auf dem Mauritiusplatz gibt es nur zu Events wie dem Winter- oder Ostermarkt. „Das ist einfach zu wenig“, bestätigt auch Ilka Guntrum, Vorsitzende der Werbegemeinschaft „Wiesbaden Wunderbar“. „Glaspavillons wie auf der Frankfurter Zeil wären eine zusätzliche Option“, so Steinbauer. „Der Einzelhandel könne auch selbst dazu beitragen, die City zu beleben“, meint Bonnet „beispielsweise durch Events wie Late-Night-Shopping mit Live-Musik, aber auch durch einheitlichere Öffnungszeiten.“ Allerdings müsse die Stadt solchen Events dann auch positiv gegenüber stehen, betont Ilka Guntrum. Mehr „grüne Oasen“ mit Sitzmöglichkeiten in der Innenstadt und Blumenkübel, etwa auf dem Mauritiusplatz, würden besonders in den Sommermonaten zusätzlich Menschen zum Verweilen anregen.
Mehr Parkplätze und kostengünstiger Nahverkehr
Ein wichtiger Aspekt in puncto Stadtattraktivität ist auch die Parkplatzsituation. Immerhin eröffnet nach dem Abriss des Parkhauses „Giraffenkäfig“, das Wohneinheiten weichen musste, im April das Coulinparkhaus mit 380 Stellplätzen. „In Parkhäusern wie dem am Dernschen Gelände sind jedoch oft die Gebühren viel zu hoch“, meint Guntrum. Immerhin gibt es in einigen Parkhäusern einen billigen Abendtarif. Doch der lockt nicht unbedingt Shoppingfreudige in die City, weil zu dieser Uhrzeit viele Geschäfte bereits geschlossen haben. Kostengünstige Parkmöglichkeiten, mehr Park & Ride-Angebote und ein guter, kostengünstiger Nahverkehr könnten die City wieder konkurrenzfähig machen. Dazu kann auch die Citybahn beitragen, wenn sie denn kommt. „Immerhin versprechen wir uns vom Rhein-Main-Kongress-Center, das am 13. April Eröffnung feiert sowie durch den citynahen Standort der Hochschule Fresenius mit einem Campus für rund 1.000 Studenten, der Ende des Jahres eröffnet, neue Impulse für den Einzelhandel in der Innenstadt“, meint Bonnet. Das hofft auch Frank Mayer, Inhaber des Feinkostladens OlioCeto.
Wiesbadens City ist nicht unattraktiv, aber es gibt einige „Baustellen“, bei denen buchstäblich nicht länger auf den Prinzen gewartet werden sollte, sondern die zeitnah angegangen werden müssen, wenn Wiesbaden auch in Zukunft nicht im Dornröschenschlaf versinken will.