Mehr als nur ein Sportgerät
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Wiesbaden rangiert zum wiederholten Male auf dem letzten Platz von insgesamt 25 Städten beim Ranking zum Fahrradklima. STUZ hat nachgefragt bei Günni Langer, Pressesprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Wiesbaden, was sich ändern muss.
Interview: Marie Himbert
STUZ: Herr Langer, Wiesbaden ist im Fahrradklimatest 2018 trotz der erhöhten Anstrengungen, wie etwa einem größeren Angebot an öffentlichen Mieträdern, zum wiederholten Mal auf dem letzten Platz gelandet – hat Sie das Ergebnis überrascht?
Langer: Nein, denn die größten wahrnehmbaren Veränderungen, wie etwa der Beginn der Einrichtung eines Radweges auf der inneren Ringstraße, erfolgten erst kurz nach Umfrageende. Dort wurde eine Pkw-Spur durch eine Fahrradspur ersetzt – eine sogenannte Umweltspur, weil sie so breit ist, dass auch der Bus darauf fahren darf. Das alles ist im Rahmen der Verhinderung eines Dieselfahrverbotes passiert. Der große Sprung ist daher also ausgeblieben, weil es keine konzeptionelle Radverkehrsförderung war, sondern eher eine Aufrechterhaltung des Dieselfahrens. Wiesbadens Verkehrsdezernent Andreas Kowol bemüht sich jedoch sehr stark, dem Wahlspruch „Ring frei fürs Rad“ folgend auch Taten folgen zu lassen. Und immerhin wurde Wiesbaden als „Aufholerkommune“ ausgezeichnet.
In Kategorien wie „Sicherheitsgefühl“ und „Komfort“ hat Wiesbaden besonders schlecht abgeschnitten. Woran liegt das?
Einerseits an der mangelhaften Wertschätzung, unter welcher der Radverkehr in Wiesbaden seit Jahrzehnten leidet. Vor 20 Jahren meinte der Oberbürgermeister hier noch: „das Fahrrad ist nur ein Sportgerät“. Andererseits an der mangelnden Rücksichtnahme im Verkehr generell. Die Ellbogenmentalität ist stark verbreitet. Das gilt aber nur für die gefühlte Sicherheit. Rein objektiv, also wenn es um die Anzahl und Schwere von Unfällen geht, sind Radfahrende in Wiesbaden sicher unterwegs.
In der Tat haben es Radfahrer in Städten nicht leicht: auf Autoverkehrsstraßen leben sie gefährlich, Fahrradwege werden häufig zugeparkt. Wie können sie als Verkehrsteilnehmer ernster genommen werden?
Imagekampagnen wie „Räder aus dem Keller“ und Aktionswochen wie „Stadtradeln“ können erste Schritte zu mehr Fahrradfreundlichkeit sein. Am Ende wird aber nur eine sichere Infrastruktur helfen. Das können geschützte Radfahrstreifen an Hauptverkehrsstraßen etwa durch Plastikpoller sein, die auch das Zuparken von Radwegen verhindern. Auch ein engmaschiges Netz aus Straßen, in denen der Radverkehr flüssig geleitet wird, ist wichtig. Die Radler müssen sich bequem und sicher fühlen und dabei schnell ans Ziel kommen. Das führt zu mehr Radverkehr.
Dennoch gibt es immer noch zu wenige Radfahrer in der Stadt – und das obwohl es gesund und umweltfreundlich ist und man schneller am Ziel ist. Wie kann man die Leute zum Umstieg vom Auto aufs Fahrrad bewegen?
Menschen brauchen Angebote. Beim Radverkehr ist daher eine einladende Infrastruktur nötig, wenn man die Umweltbelastung durch die Autos reduzieren will. Wiesbaden muss daher mehr breite und sichere Radwege markieren und attraktive Angebote wie Haltegriffe an Ampeln schaffen. Leuchtturmprojekte, wie die Verbesserung der Erreichbarkeit des Hauptbahnhofes, können sprungartig Menschen zum Aufsteigen bewegen. Auch kleine Maßnahmen zur Überwindung von Hürden, wie ständige rote Wellen oder lästige Bordsteine, können helfen. Aber es gibt wohl auch Menschen, die nie auf’s Fahrrad umsteigen werden. Obwohl vielen etwas Bewegung guttun würde, gerade weil die Mehrheit sich auf der Arbeit kaum bewegt. Eine verbreitete Fehlannahme ist ja, dass man durch Umwege über Feldwege Zeit verliert. In Wirklichkeit gewinnt man Zeit, weil man nach Feierabend keinen Sport mehr machen muss.
Im Zuge des Klimawandels gibt es auch eine ethische Verpflichtung ihrer Umwelt gegenüber, etwas an ihrem Fortbewegungsverhalten zu ändern. Gibt es Kampagnen, die genau daran appellieren?
Ja, das probiert man sehr oft. Doch nur eine kleine Zahl verändert etwas aus Umweltschutzgründen. Das ist eben keine Kopf-, sondern eher eine Gefühlsentscheidung. Autofahren ist häufig bequemer. Man kann vor der Tür umsonst parken. Um sein Fahrrad zu holen, muss man vielleicht in den Keller gehen – damit fängt es schon an. Es braucht hier mehr Abstellmöglichkeiten, wobei Wiesbaden da aktuell aufholt. Gerade an Schulen und Kindergärten fehlen häufig Abstellplätze. Wichtig ist auch ein geschlossenes Netz an Fahrradwegen. Wenn der Radweg einfach plötzlich aufhört und ich die Straßenseite wechseln muss, macht das keinen Spaß. Wenn aber erstmal eine gewisse Masse an Radfahrern da ist, dann kippt es plötzlich und es steigen nochmal mehr Leute auf. Denn dann verschieben sich auch die Probleme im Verkehr, weil es breitere Radwege braucht.
Das Rad taucht heute öfter auf der politischen Agenda auf, der vom Bund initiierte Nationale Radverkehrsplan (NRVP) kann viel bewegen. Tut sich da genug? Was muss sich in den Augen des ADFC politisch ändern?
Der NRVP gibt nur Empfehlungen. Die Kommunen entscheiden letztlich, was daraus gemacht wird. Der ADFC fordert auf allen politischen Ebenen mehr Geld fürs Rad. Wiesbaden rühmt sich damit, 10 Euro pro Einwohner und Jahr für den Radverkehr auszugeben; dabei sollten Nachzügler im Sinne des NRVP das Doppelte ausgeben. In der Haushaltsfrage zeigen sich die politischen Bremsen stark. Im Bundeshaushalt sieht man, dass der Fokus noch klar auf dem Autoverkehr liegt. Es dauert eben, bis eingefahrene Strukturen gewandelt werden. Aber auch im Kleinen, in den Ortsbeiräten, wird um jeden Parkplatz gekämpft. Der Platz in den Städten ist endlich und er muss neu verteilt werden, wenn wir mehr Radverkehr wollen.
In skandinavischen Ländern gibt es längst innovative Lösungen für das städtische Radfahren. Radfahrer gelten dort als gleichwertige Verkehrsteilnehmer. Was machen sie anders?
In Holland etwa hat man eine einladende Infrastruktur für den Radverkehr geschaffen. Gleichzeitig werden dort Pkw-Fahrten erschwert. Als Autofahrer muss ich entweder Geld in die Hand nehmen, weil es eine City-Maut gibt, oder Umwege in Kauf nehmen, weil die Wegeführung dort nicht die schnellste ist. Parkplätze sind rar und kostspielig. Man hat dort alle Mechanismen des Marktes genutzt, um eine Verkehrslenkung zu mehr Nachhaltigkeit zu schaffen.
Welche Vorschläge haben Sie für Deutschland?
Für Wiesbaden wünscht sich der ADFC (Wiesbaden) ein geschlossenes Netz aus Fahrradstraßen, welches die Stadtteile verbindet. Damit soll das Aufsteigen bei kurzen Distanzen erleichtert werden. Gerade Strecken von unter 5km sind ideal mit dem Fahrrad zurückzulegen. Fahrradfahren muss attraktiver werden.
Was bedeutet Ihnen das Radfahren persönlich?
Ich bin immer schnell und entspannt am Ziel. Nebenbei kann ich mehr Umwelteindrücke genießen. Ich fühle mich frei dabei.