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Tiere Umwelt

Wenn im Bad das Licht ausgeht

Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet: Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 51: Silber- und Papierfischchen

von Konstantin Mahlow

Nicht alle wilden Tiere dieser Kolumne leben vor der Haustür, auch direkt dahinter können wir reich bevölkerte Lebensräume finden. Das Badezimmer zum Beispiel – eine seltsame, lichtarme Landschaft, dessen feuchte Wärme für Wohnbedingungen wie in einer Tropfsteinhöhle sorgen. Hier lassen sich ganz besondere Geschöpfe der Evolution bestaunen, praktischerweise sogar im Sitzen und mit aller Ruhe und Ungestörtheit der Welt, während andere Natur-Voyeuristen draußen in der Kälte auf die Rückkehr der Kraniche warten oder gar Unmengen an Geld für einen Trip in die Serengeti zahlen. Alles völlig unnötig: Wer bei ausgeschaltetem Licht mit dem Handy in die Fliesenecke leuchtet, kann mit etwas Glück ein flügelloses Insekt entdecken, das schon seit 300 Millionen Jahren und damit länger als jedes Poster-Tier auf der Erde haust: Das Silberfischchen. Auch wenn nicht alle dieselbe Faszination für dieses lebende Fossil teilen.

Das silbergraue, höchstens 12 Millimeter lange Silberfischchen (Lepisma saccharin) ist weltweit in Gebäuden verbreitet. Wegen seiner Vorliebe für Kohlenhydrate wird es mancherorts auch „Zuckergast“ genannt. Es ist äußerst lichtscheu und bevorzugt feuchtwarme Orte wie Küchen und Bäder, wo es im Dunkeln auf Nahrungssuche geht. Der Speiseplan der Silberfischchen ist breit gefächert: Haare und Hautschuppen der menschlichen Mitnutzer:innen des Badezimmers werden genauso gerne angenommen wie Baumwolle, Papier oder Kunstfasern, tote Insekten oder die eigene abgestreifte Haut. Auch lieben sie stärkehaltige Produkte wie Dextrin, das im Klebstoff von Bucheinbänden enthalten ist. So flexibel hält man als Art locker 300 Millionen oder als einzelnes Tier bis zu drei Jahre in jedem noch so nackt und leblos wirkenden Fliesenraum aus. Weil sie auch Schimmelpilze und Allergien auslösende Hausstaubmilben verzehren, kann man Silberfischchen durchaus als Nützlinge bezeichnen. Allgemein werden sie jedoch fälschlicherweise als Schädling betrachtet, obwohl ein gewisser Bestand in fast allen Wohnungen normal ist und keinerlei gesundheitliche Gefahr von den Ur-Tierchen ausgeht.

Tatsächlich sollten Silberfischchen viel eher als Alarmsignal anstatt als Ungeziefer betrachtet werden. Ein vermehrtes oder sogar massenhaftes Auftreten ist häufig ein Zeichen für eine zu hohe Luftfeuchtigkeit und ein daraus resultierendes Schimmelrisiko, etwa, wenn in Gebäuden mit älterer Bausubstanz flächendeckend gestrichen wurde. Hier können sie als Anzeiger für ein zuvor nicht wahrgenommenes Problem hilfreich sein. Doch das harmlose Silberfischchen hat einen Verwandten, der uns deutlich mehr ärgern kann: Das Papierfischchen (Ctenolepisma longicaudatum). Sie sind ihrem silbernen Pendant, mit denen sie oft zusammen vorkommen, in der Erscheinung extrem ähnlich und am ehesten durch ihre einheitlich graue Färbung zu unterscheiden. Während Silberfischchen in wärmeren Regionen auch in freier Natur vorkommen, lebt das Papierfischchen ausschließlich synanthroph, also in menschlichen Behausungen. Von woher sie dorthin kamen, ist bis heute unbekannt. Mindestens seit 2007 breiten sie sich in Deutschland aus.

Auch sie sind nachtaktiv, wenn auch weniger lichtscheu. Wie ihr Name schon verrät, ernähren sie sich mit Vorliebe von Papier und Kartonagen. Deren Zellulosefasern können sie wie die Silberfischchen auch mit körpereigener Cellulase zu Zucker aufspalten und dann verdauen. Finden sie keine alte STUZ zum Knabbern mehr, halten sie bis zu 300 Tage ohne Nahrung aus. Weltweit sind sie in Archiven und Museen gefürchtet, wo sie irreversible Schäden anrichten können. Ob Spinnen oder vielleicht sogar der kultige Bücherskorpion, der in STUZ-Ausgabe vom Februar 2024 vorgestellt wurde, auf die Fischchen Jagd machen, ist unklar. Mit Fallen für Silberfischchen lassen sie sich jedenfalls kaum fangen, da sie deutlich schlechter als Bücherskorpione riechen können und sich deshalb nur bedingt anlocken lassen. Besonders fies ist ihre Angewohnheit, selbst vor alten Urlaubsfotos nicht Halt zu machen. Wer also auffällige Fraßspuren in seiner Heimbibliothek oder Fotoalben entdeckt, sollte vielleicht anfangen, besonders wichtige Dokumente an einem trockenen und kalten Ort in Sicherheit zu bringen oder gleich zu digitalisieren – so wie übrigens auch jede Ausgabe der STUZ fast ausschließlich wegen den gefräßigen Papierfischchen auf stuz.de festgehalten wird. Sicher ist sicher.

Foto: AJC ajcann.wordpress.com from UK, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

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