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Kultur

Rosaline: Shakespeares unbeachtetes Geheimnis

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War Romeo ein romantischer Held – oder ein manipulativer Verführer? Natasha Solomons erzählt in „Rosaline“ eine andere Version der berühmten Liebesgeschichte. Ein starkes Porträt über Täuschung, Freiheit und die vergessenen Stimmen der Frauen im Schatten Shakespeares.

von Saskia Schultheis

Zwei Seelen – füreinander bestimmt, durch die tragischen Umstände ihrer irdischen Existenz jedoch voneinander getrennt. Zwei Herzen, die wie eins schlagen und doch können sie erst im Tod miteinander vereint sein – diese tragische Geschichte von „Romeo und Julia“ ist beinahe jedem bekannt und prägt durch die Popularität von Shakespeares Werk, das 1597 erschien, die Auffassung von Romantik und Liebe. Doch was ist, wenn diese Geschichte tatsächlich gar nicht so romantisch war? Wenn Romeo nicht der galante Mann war, als der er in Shakespeares Werk in Erscheinung tritt?

In „Rosaline“ wirft Natasha Solomons die Frage auf, ob es sich in der Beziehung zwischen Romeo und Julia wirklich um die romantische Liebesbeziehung handelt, wie wir sie alle im Kopf haben, denn bevor Romeo Julia liebt, liebte er Rosaline und auch Rosaline war nicht das erste Mädchen, das seinem Charme unterlag.

Natasha Solomons hat die Figur der Rosaline dabei nicht einfach hinzugedichtet, um eine spannende Geschichte zu kreieren, denn es gab die Beziehung zwischen Romeo und Rosaline bereits in Shakespeares Stück. Rosaline tritt dabei nie selbst in Erscheinung, was vermutlich nicht zuletzt daran liegt, dass Shakespeare ausschließlich aus der Sicht der Männer erzählt. Wir hören überhaupt nur von ihr, weil Romeo sich auf einen Maskenball schleicht, um dort die „schöne Nichte“ Capulets (Rosaline), in welche er unsterblich verliebt ist, aufzusuchen.

Um ein Bild von Rosaline zu schaffen, bedient sich Solomons nach eigener Aussage an anderen Figuren Shakespeares, die praktisch den gleichen Namen tragen. So gibt es eine Rosalin(d)e sowohl in „Wie es euch gefällt“ als auch in „Verlorene Liebesmüh“. Erstere wird als willensstark und witzig beschrieben und ist in heißer Liebe zu ihrer Cousine Celia entbrannt. Die Rosaline aus „Verlorene Liebesmüh“ ist eine der schlauesten und mächtigsten Frauen, die Shakespeares Dramen hervorgebracht haben und vor allem das Aussehen von Solomons‘ Rosaline ist von dieser Figur inspiriert. Bei dieser Rosaline handelt es sich nämlich definitiv um eine Person of Color, die unter anderem als „wunderschön wie Tinte“ beschrieben wird.

Rosaline Capulet ist die Tochter von Masetto und Emelia Capulet und die Cousine von Julia. Die Fünfzehnjährige ist in einer dramatischen Phase ihres Lebens, da ihre Mutter kürzlich an der Pest verstorben ist und ihr Vater und ihr Bruder Valentio sie nun in ein Kloster schicken wollen. Die lebenslustige Rosaline kann sich ein Leben, in welchem sie mit Gott verheiratet ist und die Mauern des Klosters nicht verlassen darf nicht vorstellen, wo sie doch immer von Liebe oder zumindest einer eigenen Familie geträumt hatte.

Um noch etwas Zeit zu gewinnen, handelt Rosaline mit ihrem Vater einen Zeitraum von zwölf Tagen aus, bis sie in das Kloster geschickt werden soll und in denen sie noch ein letztes Mal die Freuden des irdischen Lebens genießen will. Dabei sollen ihr vornehmlich ihre Schwägerin Livia, ihre Cousine Julia und ihr Cousin Tybalt Gesellschaft leisten. Gleich zu Beginn der zwölf Tage erfährt Rosaline jedoch, dass die Montagues, eine andere reiche Familie aus Verona, mit denen die Capulets eine Fehde haben, trotz der fortdauernden Pest einen Maskenball veranstalten wollen. Zu einem solchen Fest darf Rosaline als Frau und vor allem als Mitglied der verfeindeten Familie Capulet natürlich niemals alleine gehen, und dennoch entschließt sie sich, als Mann verkleidet dieses Wagnis einzugehen.

Auf dem Ball lernt Rosaline Romeo kennen, der ihre Verkleidung sofort durchschaut und sich in sie verliebt. Die beiden beginnen eine Liebesbeziehung, wobei der deutlich ältere Romeo Rosaline zu immer mehr Intimität drängt und so schlafen sie schließlich auch miteinander. Romeo beteuert Rosaline immer wieder seine Liebe und verspricht, sie zu heiraten und mit ihr wegzulaufen. Trotz dieser heißen Schwüre kann Rosaline sich gewisser Befürchtungen nicht erwehren, die sich später ja auch bewahrheiten sollen und schließlich zu einem Zerwürfnis der beiden führen.

Anknüpfend an die Handlung aus Shakespeares „Romeo und Julia“ will Romeo Rosaline auf einem Maskenball von ihrem Onkel Capulet aufsuchen, wobei er auf Julia trifft und sich nun unsterblich in diese verliebt. Erschüttert von dieser Wendung versucht Rosaline ihre dreizehnjährige Cousine von weiterem Kontakt mit Romeo abzuhalten, es ist allerdings bereits zu spät und auch Julia ist Romeos Charme rettungslos verfallen.

Verzweifelt versucht Rosaline mit Hilfe ihres Cousins Tybalt alles in ihrer Macht stehende, um Julia zu retten.

Rosaline wird uns durch Solomons als eine zwar noch sehr junge, aber trotzdem starke Frau präsentiert, die vielleicht mit ihrer eigenen Schande leben könnte, aber die Schande ihrer Cousine zu verhindern sucht, für die sie sich selbst mit in der Verantwortung sieht.

Das anglisierte „Verona“ Shakespeares ist ein perfekter Schauplatz für diese Tragödie und konnte so nur von jemandem beschrieben werden, der selbst noch keinen Fuß in das Städtchen gesetzt hatte. Shakespeare hatte eine Faszination für Italien, ohne jemals dort gewesen zu sein, was man allen seinen dort spielenden Werken anmerkt. Diese fast fiktive Welt wird auch von Solomons übernommen und durch ihre poetische und bildhafte Schreibweise für den Leser sehr plastisch dargestellt. Trotzdem darf man bei aller Romantik, was das Ambiente angeht, nicht vergessen, dass es Solomons darum geht, Rosalines Geschichte nicht als eine Liebesgeschichte zu erzählen. Solomons stellt Romeo als einen deutlich älteren, manipulativen Mann dar, der jungen, unerfahrenen Mädchen Liebe vorspielt, um sie unter Ausnutzung ihrer Naivität in sein Bett zu locken. Ob diese toxische Männlichkeit von Solomons erfunden wurde oder in Shakespeares Werk nicht auftaucht, da wir so gut wie nichts aus der Sicht der Frauen erfahren, ist eine Frage, die der Leser sich selbst beantworten muss.

Fazit: „Rosaline“ ist ein beeindruckendes Werk, dass sowohl eingeschworene Shakespeare-Fans begeistern dürfte, als auch Leser, die noch nie eine Zeile von Shakespeare gelesen haben.. Es ist eine Geschichte über Liebe und Freiheit, über Täuschung, Wahrheit und Opferbereitschaft. Natasha Solomons ist mit diesem Werk eine außergewöhnliche Erweiterung der Shakespeare-Literatur gelungen, die dazu anregt über liebgewonnene Shakespeare-Klischees neu nachzudenken.

Foto: Thomas Ryder, CC0, via Wikimedia Commons

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