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Gesellschaft Stadt Wiesbaden

Goldlöckchen trinkt Federweißer

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Riesling statt Griechischer Wein, Käsebrot statt Souvlaki, Wiesbaden statt Athen. Grigorios ist frisch in die hessische Landeshauptstadt gezogen. Wie sieht sie aus den Augen des Griechen aus?

von Myriam Neureuther

Grigorios Kaplatzis, genannt Greg, hat mit 24 Jahren das warme Griechenland gegen Wiesbaden eingetauscht. Was treibt diesen offenen und lebensfrohen jungen Menschen in den kühlen deutschen Herbst? Die Antwort ist, wie so oft, die Liebe. In ihrer persönlichen Neuauflage des Musicals „Mamma Mia“ lernte er seine Freundin Paula vor einigen Jahren auf einer griechischen Insel kennen. Sie war dort nach dem Abitur auf Backpacking-Reise, er im Familienurlaub. Sie wollte ihn eigentlich nur nach dem Weg fragen – the rest is history. Nach vier Jahren deutsch-griechischer Distanz ist es so weit: Die erste gemeinsame Wohnung in Wiesbaden. Der junge Theaterregisseur war schon häufig zu Besuch in Deutschland, aber jetzt hat er den ersten Monat mit eigenem Mietvertrag hinter sich.

Starr(end)e Deutsche
Sein erster Eindruck: Die Deutschen starren. Sie starren einen an, wenn man die Straße entlangläuft, ohne weitere Reaktion, ohne offensichtliche Hintergedanken. Die ersten Tage fand er das irritierend, fast schon unhöflich. Mittlerweile findet er es süß. „Wenn ich einkaufen gehe und an einer Gruppe älterer Menschen vorbeilaufe, die gerade Kaffee trinken, dann starren sie mich an und ich starre einfach zurück. Das ist fast, als würden sie mich fragen: ‚Hey, wie geht’s?‘“ Eine ganze Interaktion in einem stummen, deutschen Blickaustausch. Etwas mehr verbale, offene Kommunikation mit seinen Nachbarn fehlt dem kontaktfreudigen Greg jedoch. Ein leichtes Nicken auf sein herzliches Hallo ist da schon die größte Reaktion in der Hausgemeinschaft. „Ich kannte die Klischees über die Deutschen, aber nun, da ich hier lebe, verstehe ich es“, erzählt Greg. „In Griechenland hätten unsere Nachbarn uns jetzt schon fünfmal zum Essen eingeladen. Die Griechen sind wahnsinnig gastfreundlich. Das ist gleichzeitig auch unsere größte Schwäche – es kann zu viel werden, und man ist unhöflich, wenn man ablehnt“. Nun gut, vor zu viel Nachbarschaftsfreundlichkeit muss sich in Deutschland wohl niemand schützen. Vielleicht ist es bezeichnend, dass der Begriff „Nachbarschaftsstreit“ keine griechische Übersetzung hat.

Deutsches Upstate New York
Was Greg an Wiesbaden besonders begeistert, sind die alten Häuser. „Es gibt hier so tolle Altbau-Villen. Die sind wirklich beeindruckend – manchmal fühle ich mich, als wäre ich in Upstate New York!“ Das ist ein großes Kompliment an Wiesbaden. Oder auch an New York, wie man’s nimmt. Was Greg an Wiesbaden außerdem toll findet, ist, dass es so kompakt ist. Alles, was man braucht, findet man in Laufdistanz – Restaurants von polnisch bis koreanisch, Bars mit und ohne Karaoke, Secondhand-Shops und Einkaufszentren – alles, was das Herz begehrt. „Verglichen mit den Städten, in denen ich in Griechenland und in Schweden gelebt habe, ist Wiesbaden die kleinste Stadt, aber sie hat alles, was ich immer haben wollte.“ Dazu gehören auch die vielen Ausflugsziele in der Region. Paula und er sind mit der historischen Nerobergbahn auf den Neroberg gefahren, um ein Glas Wein mit Aussicht zu genießen. Und nach Ingelheim, wo er das erste Mal Federweißer probiert hat. Die bisherigen Ausflüge haben alle eine Weinverkostung beinhaltet – Greg scheint hier schon voll und ganz angekommen zu sein. Auch wenn Griechischer Wein von Udo Jürgens und seither von zahlreichen betrunkenen Menschen auf Volksfesten inbrünstig besungen wird, ist Greg ein absoluter Fan von deutschem Wein. „Griechischer Wein ist billiger und macht schneller beschwipst. Deutscher Wein hat viel mehr Tiefe im Geschmack.“ Ganz oben auf seiner Favoriten-Liste steht der deutsche Riesling – da ist er hier im Rheingau bestens aufgehoben.

Goldlöckchen
Auf die Frage, ob ihn bisher irgendetwas an Wiesbaden stört, sagt Greg sofort: Nein. „Wir haben riesiges Glück, hier in einer netten Gegend zu wohnen. Ich bin genau am richtigen Ort. Ich fühle mich ein bisschen wie in dem Märchen Goldlöckchen. Ich bin Goldlöckchen, das Federweißer trinkt“. Hoffentlich empfindet er noch genauso, wenn er Anfang nächsten Jahres seine erste Fastnacht miterlebt und wird nicht von der einmal jährlich ausbrechenden Ausgelassenheit der Deutschen überrollt. Vielleicht werden seine Nachbarn ihn zu diesem besonderen Anlass, verkleidet als Flamingo oder Pirat, dann doch einmal grüßen.

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