Grauer Wolf im Schafspelz
Teilen
Die türkisch-nationalistische Ülkücü-Bewegung ist eine der mitgliederstärksten rechtsextremen Organisationen in Deutschland. Ihr Einfluss in Deutschland ist groß – und wird von der Politik unterschätzt. Die Leidtragenden sind andere.
von Rebekka Schäfer
Sie nennen sich „Idealisten“ (türkisch: „Ülkücüler“) und träumen von einem großtürkischen Reich: die rechtsextremen Grauen Wölfe. In der wirklichen Welt sind ihre Anhänger für zahllose Drohungen, Angriffe und auch Morde verantwortlich. Im Visier: politische Gegner und all diejenigen, die nicht ins Bild der ultranationalistischen Idee passen, die den Kern der Wölfe-Ideologie ausmacht. Das sind vor allem Linke, Kurd:innen, Alevit:innen, Armenier:innen und Jüd:innen. Das Erkennungszeichen der Ülkücü-Bewegung, der sogenannte Wolfsgruß, zierte während der Fußball-EM die Titelblätter vieler Zeitungen. Obwohl spätestens seitdem bekannt ist, dass es sich hierbei nicht um den Schweigefuchs handelt, fällt es vor allem Politikern und Politikerinnen schwer, die neofaschistische Bewegung als solche zu benennen – und entsprechend zu handeln. Dass die Grauen Wölfe hierzulande nur wenige kritische Beachtung finden, steht im Kontrast zu ihrem Einfluss in Deutschland. Über 12.000 Mitglieder werden laut Verfassungsschutz der Bewegung zugeordnet, die in mehreren Dachverbänden organisiert ist. Daran angegliedert sind Sportvereine, Jugendgruppen, Nachhilfeprogramme und Moscheeverbände. Der Autor Burak Yılmaz warnt, dass die Einflussnahme, die von türkischen Nationalisten vor allem auf Jugendliche ausgehe, unterschätzt werde.
Auch dem Mainzer Verein „Eyüp Sultan Camii Türkisch-Islamischer Kulturverein“ werden enge Verbindungen zu den Grauen Wölfen vorgeworfen. Beim Interkulturellen Fest der Stadt Mainz, das im September stattfand, hatten Vereinsmitglieder für Aufregung gesorgt, als sie den Wolfsgruß an ihrem Stand zeigten und auf Instagram posteten. Ihr Vorsitzender, Dağıstan Afşin, wiederum saß bis 2015 im städtischen Beirat für Migration und Integration. Auf Facebook zeigt er sich Seite an Seite mit Devlet Bahçeli, dem Chef der ultranationalistischen MHP-Partei in der Türkei, die dort sowohl Erdoğans Koalitionspartner als auch der politische Arm der Grauen Wölfe ist. Bei der Beiratswahl am 10. November wurden zwei Vereinsmitglieder mit 9,5 Prozent der Stimmen gewählt.
Neben Vereinsarbeit und interkulturellem Engagement werden den Grauen Wölfen aber auch Anschläge auf politische Feinde zugerechnet. Anfang Oktober wurde ein kurdischer Verein in Berlin vermutlich von türkischen Nationalisten angegriffen. Nur wenige Wochen zuvor schossen Unbekannte auf einen Vereinsraum einer kurdischen Gemeinde in Hamburg. Angriffe und Drohungen sind keine Einzelfälle und diejenigen, denen sie gelten, sind davon wenig überrascht. Mehmet Çoban, Co-Vorsitzender des kurdischen Gesellschaftszentrums Rhein-Main, berichtet von Einschüchterungsversuchen gegen Angehörige des Vereins. Gemeinsam mit seiner Amtskollegin Kerime Barçın ist er zu einer Solidaritätsveranstaltung der kurdischen Zeitung „Yeni Özgür Politika“ eingeladen. Es sind viele Menschen aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet angereist, bei Tee und traditionellem Essen trifft man sich in der Eingangshalle. Einen persönlichen Angriff habe er noch nicht erlebt, sagt Çoban. Einschüchterungsversuche aber gäbe es viele, vor allem über Social Media. Auch Drohbriefe wurden in Briefkästen von Vereinsmitgliedern gefunden. Nicht nur die Gefahr durch die Grauen Wölfe stelle ein Problem dar, sondern vor allem, dass die Bedrohung von der deutschen Politik nicht ernst genommen werde. Schlimmer noch, oftmals werde mit Ülkücü-Anhängern und nahestehenden Einrichtungen kooperiert. Viele Kurden seien vor türkischem Faschismus aus der Türkei nach Deutschland geflohen, so Çoban. Nun sind sie auch in Deutschland nicht sicher. „Wenn die AfD da ist, sind wir alle dagegen, warum ist das bei den Ülkücüler nicht genau so?“, kritisiert Çoban. Im Frühjahr hatte ein Streit über den Umgang mit den Grauen Wölfen dazu geführt, dass sich das Frankfurter Bündnis „8. Mai“, dem auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Linkspartei angehören, entzweit hatte. Barçın und Çoban erinnern sich: Sie seien gemeinsam mit drei anderen Verbänden, darunter auch ein türkischer, aus dem Bündnis ausgetreten. Das Problem sei gewesen, dass es keine kritische Haltung gegenüber dem – auch am Bündnis beteiligten – Zentralrat der Muslime gab. Dem werfen sie vor, über Atib, einen einflussreichen Moscheeverband im Zentralrat der Muslime, ideologische Nähe und auch persönliche Verbindungen zu den Grauen Wölfen zu haben. Das sei unvereinbar mit der antifaschistischen Ausrichtung des Bündnisses.
Hoffnung, dass sich die Situation bald ändern wird, haben sie wenig. Um die Beziehungen zur Regierung um Erdoğan nicht zu gefährden, werde die deutsche Politik die Grauen Wölfe weiter dulden, befürchten die Vorsitzenden des kurdischen Vereins. Am selben Tag ist Olaf Scholz nach Ankara gereist – unter anderem, um neue Waffendeals mit dem türkischen Partner zu beschließen.