Mein lieber Schwan
Teilen
Foto: Richard Bartz via Wikimedia Commons
Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 47: Der Höckerschwan
von Konstantin Mahlow
Wer öfter am Rheinufer flaniert, wird zuweilen Zeuge eines komplizierten Flugstarts auf offenem Wasser: Wenn die riesigen Höckerschwäne mit lautem Flügelschlag abheben, erinnern sie an kleine, schneeweiße Flugzeuge, die ihren mächtigen Bug nur langsam in die Lüfte bekommen. Auch beim Landen müssen die Vögel erst ein paar Meter Fußweg gut machen, bevor sie zum stehen kommen. Grund ist in beiden Fällen der massive Körper der Höckerschwäne, die zu den schwersten flugfähigen Vögeln überhaupt zählen und hierzulande nur von der kaum bekannten Großtrappe überboten werden. Weibliche Schwäne kommen auf bis zu 12, männliche gar auf 15 Kilogramm Gewicht bei einer nicht minder beeindruckenden Flügelspannweite von bis zu zweieinhalb Metern. Auf Flüssen und Seen sind sie damit nicht nur beim winterlichen Entenfüttern ohne jede Konkurrenz.
Größe, Gefieder und Hals des Höckerschwans (Cygnus olor) sind so prägnant, dass man ihn von der anderen Seite des Rheins aus erkennen kann. Bei näherer Betrachtung fallen sofort der schwarze Höcker und der orangefarbene Schnabel auf. Dazu das strahlend-weiße Federkleid der erwachsenen Tiere, das in der Sonne regelrecht leuchtet – Höckerschwäne haben von Mutter Natur fast schon ein bisschen zu viel Kitsch abbekommen. Kein Wunder also, dass sie seit Jahrhunderten überall in Europa als beliebte Parkvögel gehalten werden. Da sie dabei immer auf Tuchfühlung mit dem jeweiligen Adel standen, verfestigte sich das Bild des Schwans von einem fleischgewordenen Symbol der Dekadenz, wofür die Tiere selbst natürlich nichts können. Das britische Königshaus beschäftigt sogar mehrere Schwanenzähler und -markierer, die die Schwäne auf der Themse, wer hätte es gedacht, zählen und markieren. Wohl auch wegen Geschichten wie dieser hält sich die urbane Legende, Höckerschwäne wurden einst aus China von europäischen Monarchen ins Abendland gebracht. Es gibt in Fernost zwar kleinere Populationen, das Hauptverbreitungsgebiet erstreckt sich aber seit jeher über das nördliche Mitteleuropa, Skandinavien und das Baltikum bis in die Regionen um das Schwarze Meer herum. In Hamburg etwa, wo es eine „Zentralstelle Schwanenwesen“ und einen dort angestellten „Schwanenvater“ gibt, der sich um die 120 Alsterschwäne kümmert, werden die gefiederten Brocken seit über 400 Jahren von öffentlichen Geldern gefüttert und gepflegt. Anderswo sind sie erst als Parkvögel eingeführt worden und haben später dann halbwilde Bestände gegründet, so dass man heute nicht immer zweifelsfrei sagen kann, woher die Schwäne kommen. Wenn man sie sieht, dann nie mehr als ein paar Einzeltiere. Wo sie leben verhindern ihr starkes territoriales Verhalten, die Sterberate im Winter und ihre Nahrungskonkurrenz untereinander ein zu häufiges Auftreten – fast die Hälfte aller Schwäne brütet nicht.
Entlang des Rheins werden Höckerschwäne zwar nicht ganz so innig verehrt wie an der Alster oder Themse, aber auch hier kümmern sich Naturschützer liebevoll um die meist beringten und benannten Vögel. Für Aufsehen sorgte im letzten Jahr die Geschichte des Schwanenpaares Crazy und Herkules, die im Zollhafen im Becken südlich der Yacht-Anlegestellen einen Brutversuch starteten und deren Nest mit Europaletten vor der Öffentlichkeit geschützt wurde. Crazy magerte jedoch langsam ab, da die nächsten Futterstellen in Form von nahrhaften Wasserpflanzen, die Schwäne mit ihrem bis zu einem Meter langen Hals am Flussgrund finden, zu weit von ihrem Platz entfernt waren und sie das Gehege nicht allein lassen wollte. Das Problem: alle Eier waren unfruchtbar, das ungesunde Ausharren im Nest vergebens – doch Crazy wollte das nicht wahrhaben. Bis besorgte Naturschützer sie zum Aufbruch bewegen konnten. Danach erholte sich die trauernde Mama wieder.
Die Brutzeit erfolgt von April bis Juni, bis August führen sie ihre Jungtiere mit sich. In dieser Zeit treten die eh schon immer leicht gereizt wirkenden Schwäne besonders aggressiv auf und fauchen Hund und Mensch sofort an. Vor ihren schweren Flügeln und dem spitzen Schnabel muss man sich zwar in Acht nehmen, prinzipiell sind Schwäne aber keine gefährlichen Tiere. Ein guter Trick zur Vertreibung ist immer, die Arme wie einen riesigen Schwanenhals in die Luft zu strecken und damit einen viel größeren Artgenossen zu spielen. Der Hals der Vögel ist aber nicht nur ein Instrument zur Nahrungsbeschaffung oder Abwehr: begrüßt sich ein Höckerschwan-Pärchen, senken sie die Köpfe und drücken ihre Stirnen aneinander, wodurch ihre Hälse ein weißes Herz formen…oh Gott, wie kitschig!