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Klar, milchig und braun

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How to grow: Das Anbauen nicht verhauen – Lektion II: Die Outdoor-Ernte

von G. Scheid

Die Legalisierung zum 1. April kam genau zum richtigen Zeitpunkt: Nun steht die Ernte der ersten auf dem Balkon oder im Garten kultivierten Hanfpflanzen an. Das alles passierte nach dem uralten nordkalifornischen Hippie-Prinzip „sunshine & dirt“. Ein knappes halbes Jahr später steht für die allermeisten Outdoor-Pflanzen im STUZ-Gebiet bis Ende Oktober die Ernte an. Und damit die delikateste Aufgabe, den Lohn der Arbeit sicher und möglichst verlustfrei ins Trockene zu bringen.

Erst einmal vorneweg: Die Zeiten, in denen unter der mitteleuropäischen Sonne nur Gras mit dem wenig schmeichelhaften Beinamen „Deutsche Hecke“ anzubauen war, sind lange passé. Im Gegensatz zu Indoor-Gras schmecken unter Sonnenlicht angebaute Blüten oft natürlicher und komplexer – wie Wein nehmen sie den Terroir ihrer Umgebung auf. Und sie knallen im direkten Vergleich oftmals nicht ganz so stark, was vielen Konsumenten entgegenkommt. Aber auf was muss nun geachtet werden, wenn die schöne „Serious 6“ oder „Durban Poison“ auf dem Balkon am Ende ihres halbjährigen Lebens angekommen ist? In erster Linie auf den Zeitpunkt der Reife. Genauso wie man keine grünen Tomaten essen möchte, will man auch kein unfertiges Gras rauchen – unangenehme Rauschzustände, inklusive Nervosität oder Herzrasen, können die Folge sein. Drinnen wie draußen ist es also extrem wichtig, den richtigen Reifegrad zu bestimmen.

Das gelingt am sichersten, indem man die Trübung der Trichome, also der Harzdrüsen, unter einer Lupe betrachtet. Die kleinen Kügelchen auf den Blüten und nahen Blättern trüben sich von klar über milchig zu braun. In der letzten Phase verwandelt sich das THC in CBD. Der optimale Erntezeitpunkt besteht, wenn etwa siebzig Prozent der Trichome milchig, fünfzehn Prozent schon braun und fünfzehn Prozent noch klar sind. Zu viele klare oder braune Trichome weisen auf eine zu frühe oder zu späte Ernte hin. Die Trichome erkennt man gut unter einer Lupe, einem Mikroskop oder, wenn man all das nicht hat, auf einem gezoomten Handyfoto bei gutem Licht. Ein anderer, aber wesentlich unsicherer Indikator sind die wie Härchen aussehenden Calyxe oder Stigmen an den Blüten. Auch sie werden am Ende trüb, die Kelche, aus denen sie wachsen, vernarben. Die Blüten hören irgendwann damit auf, frische, weiße Härchen nachzuproduzieren. Das sind auf jeden Fall alles Zeichen dafür, dass es mit der Pflanze zu Ende geht. Da aber auch zahlreiche andere Faktoren zu einem Absterben oder Verfärben der Calyxe führen können, ist es speziell für Anfänger nicht ratsam, sich nach ihnen zu richten. Wer auf Nummer sicher gehen will, schaut sich die Trichome an.

Doch während der Indoor-Grower in seinem Zelt die Geschicke zu hundert Prozent in eigenen Händen hält und den perfekten Reifegrad einfach abwarten kann, muss der Outdoor-Farmer mit dem Wetter gehen. Spätestens ab Oktober sinken die Temperaturen und die Feuchtigkeit nimmt zu. Gleichzeitig werden die Blüten fetter und dichter – die perfekte Kombination für den größten Feind des Gärtners im Freien: Grauschimmel. Selbst in Kalifornien, wo heute riesige, mehrere Kilo Blüten tragende Hanfpflanzen für den kommerziellen Markt angebaut werden, läuft mit den ersten Herbststürmen der Angstschweiß unter den Growern. Schimmel ist der große Gleichmacher, er gibt den Zeitplan vor. Der Outdoor-Grower muss nun einen Spagat schaffen: Zum einen sollte das Gras möglichst reif sein, zum anderen möglichst wenige Schimmelstellen aufweisen.

Es hört sich hart an, aber: Schimmelverluste planen die meisten Outdoor-Grower mit ein. Da große Pflanzen unter Sonnenlicht in der Regel auch viel größere Erntemengen als im engen Zelt liefern, ist es meistens ein verkraftbarer Kompromiss. Die ersten kleinen Schimmelstellen können noch großzügig entfernt werden, doch werden es mehr und das Wetter nicht besser, muss die alles entscheidende Frage gestellt werden: Ist die Pflanze schon reif genug, um geerntet werden? Ernte ich sie lieber etwas zu früh, um mehr Schimmel zu vermeiden oder lasse ich sie fertig ausreifen, riskiere aber dadurch deutlich mehr Verlust? Die gute Nachricht: Outdoor ist es nicht ganz so dramatisch, ein wenig früher zu ernten. Hauptsache, die allermeisten Trichome sind milchig und es sind nicht mehr als zwanzig oder dreißig Prozent klare Trichome übrig. Unter dem Strich bleibt es aber ein Abwägen: Menge oder Reife.

Ob die Entscheidung die richtige war, zeigt sich, nachdem die Blüten ohne die Sonnensegel in einem trockenen, dunklen Raum fünf bis sieben Tage getrocknet worden sind, bevor sie dann bei regelmäßigem Lüften in ein Einmachglas (mit nicht mehr als 62 Prozent Restfeuchtigkeit) gewandert und schließlich verköstigt worden sind. Und das schmeckt und wirkt dann in den allermeisten Fällen doch deutlich besser als das Zeug von der Straße.

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