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Lifestyle mit Grenzen – Nachts nichts los?

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Das Leben in der Stadt zeichnet sich durch eine lebendige Nachtkultur aus. Teil davon sind üblicherweise auch Kioske, die bis spät in die Nacht Waren verkaufen. In Mainz werden Spätis schmerzlich vermisst, zumindest von mir. Über Potenziale, die den urbanen Verkaufsstätten innewohnen. 

von Noah Green

Ein warmer Freitagabend im Sommersemester 2024. Die Hitze des Tages verzieht sich langsam. Atmen scheint nun physikalisch gesehen wieder möglich – an ein unbekümmertes Verschnaufen ist dennoch nicht zu denken. Die allgemeinen Abgabefristen der akademischen Anforderungen rücken unaufhaltsam näher. Und so verwende ich den Großteil meiner Energiereserven darauf, vermeintlich gehaltvolle Gedanken zu Papier zu bringen. Eine gähnende Tätigkeit, die sich schleppend und kräftezehrend gestaltet. Wie wäre es also mit Kaffee Nummer fünf oder vielleicht doch lieber einem Bier? Auf jeden Fall muss Schokolade her. Zucker sollte dabei helfen, den letzten Rest an verfügbaren Hirnkapazitäten freizulegen. Mir fällt jedoch auf: Es befindet sich kein einziges verwertbares Lebensmittel mehr in der Wohnung. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Die Zeigerstellung bremst mich in der prokrastinatorischen Auslotung meiner inneren Bedürfnislage. Zweiundzwanzig Uhr vier. Oder anders gesagt: Unmöglich, jetzt noch in der näheren Umgebung an einen Bedarfsgegenstand zu kommen. 

Es erscheint notwendig, sich noch einmal zu vergewissern: Ja, ich lebe in einer Großstadt. Dazu in einem studentisch geprägten Stadtteil. Doch leider muss ich immer wieder aufs Neue verbittert feststellen: In der Mainzer Neustadt werden offensichtlich irgendwann die Bordsteine hochgeklappt. In meinem Viertel ist es schlichtweg unmöglich, nach 22 Uhr noch an Bedarfsgegenstände des alltäglichen Lebens zu kommen. Man sollte meinen, die Zeit der Kiosk-Betreibenden würde dann kommen, sobald die Supermärkte geschlossen sind. So wie es in den meisten deutschen Großstädten üblich ist. 

Dass Kioske in Mainz ihren Betrieb so früh einstellen müssen, ergibt sich aus dem rheinland-pfälzischen Ladenöffnungsgesetz, in dem es heißt, dass Verkaufsstellen montags bis samstags in den Zeiten ab 22 und bis sechs Uhr für den geschäftlichen Verkehr mit Kund:innen geschlossen sein müssen. Zweck des Gesetzes sei unter anderem die Gewährleistung der Arbeitsruhe des Verkaufspersonals. Ausnahmen bilden laut Gesetz Verkaufsstellen an Personenbahnhöfen, an Flugplätzen und an Schiffsanlegestellen. Diese dürften auch abweichend der zeitlichen Begrenzungen geöffnet sein.
 
Es wird deutlich, warum zumindest die Kioske in unmittelbarer Nähe des Mainzer Hauptbahnhofs von den Bestimmungen ausgenommen sind. Hier ist die Abgabe von Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs nämlich zulässig. Ich höre nun manch eine:n sagen: „Dann hol’ dir dein Zeug doch einfach am Bahnhof!“ Das wäre in der Tat möglich. Es geht aber vielmehr um die Chancen, die eine lebendige und flächendeckende Kiosk-Kultur mit sich bringen würde.

Kioske können Begegnungen fördern. Besonders Menschen ohne hohe Einkünfte, wozu in der Regel auch Studierende zählen, können sich gastronomische Angebote oftmals nicht leisten. Der lokalen Bevölkerung wird es demnach ab einer gewissen Uhrzeit erschwert, niederschwellig zusammenzukommen – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass auch die zunehmende Verdrängung der nicht auf Konsumzwang ausgerichteten kulturellen Einrichtungen dazu beiträgt, jungen Menschen wichtige Begegnungsstätten zu verwehren. Der gemeinsame Verzehr von Getränken markiert nun mal oft ein geselliges Beisammensein. Wenn uns schon unverschämt hohe Mietkosten für sanierungsbedürftige und viel zu enge WG-Zimmer abgeknöpft werden, dann lasst uns doch wenigstens die Option, spontan und flexibel auf ein günstiges Getränk zusammenzukommen. Besonders in Zeiten zunehmender Einsamkeit, vor allem unter jungen Menschen, sollte gewährleistet sein, dass es genügend Orte und Möglichkeiten für Begegnung und Austausch gibt. 

Im Dunkeln belebte Stadtviertel tragen darüber hinaus zu einem urbanen Lebensgefühl bei. Gleichzeitig würden Personen auf nächtlichen Heimwegen von belebten Straßenzügen profitieren – Angsträume könnten durch beleuchtete Fassaden minimiert werden. Es leuchtet ein, dass in einer dicht besiedelten Stadt wie Mainz Lärmkonflikte bei längeren Öffnungszeiten der Kioske nicht ausbleiben würden. Komisch allerdings, dass es in der ach-so spießigen Nachbarstadt Wiesbaden zu funktionieren scheint. Eine Stadt sollte die Bedürfnisse ihrer Bewohner:innen widerspiegeln; möglich also, dass eine Späti-Kultur in Mainz unerwünscht ist? Vielleicht wird aber auch einfach die Möglichkeit zur Veränderung bestehender Verhältnisse verkannt. Leben wir doch die lokale Demokratie – und verpassen dem „Mainzgefühl“ ein längst überfälliges Update. 

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