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Gesellschaft Stadt Wiesbaden

Der Ortsbeirat Biebrich und sein Urgestein

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Ein Portraitfoto von Horst Klee. Im Hintergrund unscharf ein Verwaltungsgebäude.

Ein politisches Gremium sorgt dafür, dass lokale Interessen Beachtung finden – der Ortsbeirat. Ortsvorsteher Horst Klee hat einiges an Politikerfahrung und berichtet über die Probleme und Chancen im Stadtteil Biebrich

von Hendrik Heim

Sie können an jeder Ecke ein Handy kaufen, sich die Haare schneiden lassen. Aber im ganzen Stadtteil Biebrich gibt es keinen Metzger mehr.“ Es sind Probleme wie diese, die Ortsvorsteher Horst Klee beschäftigen. Ich treffe den 84-jährigen in einem Park in Biebrich-Mitte. Sofort beginnt er zu erzählen. Von der Hopfgartenstraße, die eigentlich Einbahnstraße sein sollte. Vom Parkplatzmangel und falsch abgestellten Autos. Und von der Verwaltung, die Anliegen des Ortes einfach nicht beachte. „Der Ortsbeirat ist ein reines Beratungsgremium“, erklärt er. „Wir können von der Stadt angehört werden, aber entscheiden können wir nicht“. Der kleine Bruder der Stadtverordnetenversammlung, das unterste politische Gremium – ein zahnloser Tiger. Nur manchmal seien es Journalist:innen, die vergessene Themen zurück auf die Tagesordnung brächten. „Auf die Presse hört man dann eher.“

Verdienste und Skandale
Ich treffe einen Mann, der 26 Jahre lang Landtagsabgeordneter war, Stadtverordneter, Wiesbadener CDU-Vorsitzender. Einen Mann, der die Macht nicht gescheut hat. Und der plötzlich machtlos ist. Wenn auch nicht ohne Einfluss. Klee beschwert sich, aber er rebelliert nicht. Er möchte das Beste für seinen Stadtteil erreichen. Das Beste aus Sicht eines „Biebricher Bub“, der hier schon aufwuchs. Gärtnerlehre, Studium über den zweiten Bildungsweg. Die Anstellung bei der Gartenbauzentrale Wiesbaden 1966, drei Jahre später ist er Geschäftsführer. Klees Lebensgeschichte könnte ein Buch füllen. Aber dann wohl eher eine Tragödie. 2016 noch die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Als er kein Abgeordneter mehr ist, verurteilt ihn das Wiesbadener Amtsgericht zu einer Geldstrafe. Klee betreibt illegale Parteienfinanzierung, beschäftigt eine CDU-Mitarbeiterin auf Kosten des Landtags.

Kleine Themen, große Sorgen
An diesem Tag aber geht es um seinen Ort. Bei einem Rundgang zeigt er ihn mir. Biebrich verändert sich. Einen hohen Migrationsanteil gibt es schon länger. „Wir sind Multi-Kulti-Stadtteil, und das ist gut so. Ich will jeden hier mitnehmen.“ Denn wer sich ernstgenommen fühlt, schert nicht raus, so das Motto. Die ganze Tour über spricht Klee vorurteilsfrei über alle. Seine Eindrücke macht er sich selbst, wehrt sich gegen rechte Parolen eines Bundestagsmitglieds: „In der CDU von Klaus-Peter Willsch bin ich nicht.“ Es sind kleine Themen, die die Stadtteilpolitik ausmachen. Der neue Weinprobierstand, der vom Beirat gefördert wurde. Das Kirchendach. Ein Bürgergarten. Der Ortsbeirat hat dafür jährlich bis zu 100.000 Euro Fördermittel, die dem Stadtteil zugutekommen sollen. Aber auch große Bauvorhaben stehen an, etwa der Abriss des Zollhauses. Stadtteilpolitik, das sind Themen, die die Biebricher direkt betreffen. Vertreten von Politiker:innen, die man auf der Straße anspricht. Wo man sich auskotzt. Insgesamt fünfmal werden wir gegrüßt.

„Wofür zahle ich Steuern?“
Ich möchte noch mehr über die Interessen der Menschen im Stadtteil herausfinden. Deswegen fahre ich ein paar Tage später wieder nach Biebrich. Heute, wie immer alle zwei Monate, findet die Ortbeiratssitzung im Bürgersaal statt, inklusive Bürgersprechstunde. Ich bin zu früh, setze mich auf eine Fensterbank und warte mit einem Paar auf den Einlass. Der Mann beginnt das Gespräch, erzählt mir von fehlenden Straßenschildern, grölenden Jugendlichen, Rasern auf Elektrorollern. Man merkt ihm sein Mitteilungsbedürfnis an, seine Wut. „Wofür zahle ich denn Steuern“, fragt er, „wenn die Ortspolizei doch nicht tätig wird?“ Später in der Bürgersprechstunde werden andere zu Wort kommen. Doch alle sprechen sie das Thema Verkehr an. Insgeheim taufe ich die Sprechstunde Auskotzrunde. Der Ortsbeirat, der selber eine Verkehrskommission gebildet hat, sieht sich konfrontiert mit einer Flut an Parkproblemen, unnötigen Lieferzonen und Autorasern. Einer hält die ganze Sitzung über ein Schild hoch. „Äppelallee“ steht darauf, „Auto für Freiheit, Arbeit, Wohlstand“. Vier Polizisten sind für die Verwaltung gekommen, hören offen zu. Ein Runder Tisch ist bereits eingerichtet, die Probleme bekannt. Und Horst Klee? Der leitet souverän. Unterbricht, wenn Wortmeldungen zu lange werden. Kritisiert die Verwaltung, wo es nötig ist. Und agiert als Vermittler zwischen all den Personengruppen im Saal. Hier findet Politik für rund 36.500 Menschen statt. 40 davon sind gekommen. Auch beim zweiten Treffen fällt mir auf: Horst Klee ist stolz auf seine Arbeit und seinen Einfluss. Aber er wird auch respektiert. Später nennt ihn ein Vertreter des Seniorenbeirats „ein echtes Urgestein. Und halt der Nachbarsjunge meiner Eltern.“

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