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Die Plagen des Rheins

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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 41: Die Rheinschnake

von Konstantin Mahlow

Johann Wolfgang von Goethe war schon ein armer Teufel. Der junge Rechtsstudent hatte in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts in einem Dorf unweit von Straßburg die Pfarrerstochter Frederike Brion kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Zusammen unternahmen sie Ausflüge in die damals noch weitläufigen Auen des Oberrheins, um sich ihren Gefühlen hinzugeben – bis diese Lustpartien abrupt von den „entsetzlichen Rheinschnaken“ unterbrochen wurden. In „Dichtung und Wahrheit“ beschreibt er später die Schnakenplage, die die Bevölkerung entlang des Rheins über Jahrhunderte quälte und von allen natürlichen Bedrohungen nur noch von den Überflutungen übertroffen wurde. Noch bis ins letzte Jahrhundert versuchten die Menschen, das „gottgewollte Übel“ einfach hinzunehmen oder, wie im Falle von Goethe, davor zu fliehen, wenn sie die Mittel dazu hatten. Bis sich in den 1970ern dutzende Kommunen entlang des Rheins im Kampf gegen die Stechmücken zusammenschlossen. Aber was sind Rheinschnaken überhaupt?

Zunächst einmal handelt es sich nicht um eine endemische Art des Rheinlaufs, wie der Name suggeriert. Als Rheinschnake wird im Volksmund entlang des Oberrheingrabens die Stechmückenart „Aedes vexans“ bezeichnet, die auch „Wiesenmücke“ oder „Auwaldmücke“ genannt wird, und weltweit vorkommt. Um eine echte Schnake handelt es sich also nicht; die werden in der Regel deutlich größer, haben eine beinahe tollpatschige Erscheinung und – stechen nicht. Rheinschnaken dagegen sind wahre Blutsauger, die je nach Verbreitungsgebiet verschiedene Krankheiten wie das Tahyna-Virus oder Gehirnentzündungen übertragen können. Sie brauchen überschwemmte Flächen mit sauerstoffarmem Wasser, in denen die Larven sicher vor Fischen schlüpfen und sich in wenigen Wochen zu Stechmücken entwickeln können. Vorher haben die Weibchen ihre Eier auf Auwaldwiesen abgelegt, wo sie nun auf das nächste Hochwasser warten. Bleibt das aus, können die Eier bis zu drei Jahre im Trockenen überleben.

Vor allem nach sommerlichen Überschwemmungen kann es zu massenhaftem Auftreten kommen. Ein einziger Quadratmeter einer vom Hochwasser verbliebenen Pfütze birgt bis zu 50.000 Stechmückeneier. Keine andere Art ist so häufig und penetrant wie die Rheinschnake, jeder Ausflug zum Strand wird zur Tortur. Heute kann man sich kaum vorstellen, wie dramatisch sich die Lage zu Goethes Zeiten gestaltet haben muss, als noch nicht 95 Prozent der Auenwälder entlang des Rheins gerodet und trockengelegt waren. Die Lebensqualität am Strom war schlicht eine andere – bis es den Kommunen zu viel wurde. Die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS) wurde 1976 als gemeinnütziger Verein gegründet, um den Stechmücken an den Kragen zu gehen. Auf 300 Kilometern zwischen Bingen und Offenbach verteilt die Aktionsgemeinschaft bis heute auf 6.000 Quadratkilometern sogenannte Bt-ProteinToxine, die von dem Bakterium Bacillus thuringiensis israelensis gebildet werden. Die Larven fressen den Wirkstoff, woraufhin dieser ihren Darm zersetzt und zu einem selektiven Tod der nächsten Rheinschnaken-Generation führt.

Wie viele Plagegeister einen im Sommer umschwirren, hat maßgeblich damit zu tun, wie einsatzfähig die für ihre Bekämpfung eingesetzten Hubschrauber gerade sind, die den Wirkstoff in den Auen verteilen. Fällt mal einer aus, spürt man das wenige Wochen später durch eine deutlich höhere Dichte an Rheinschnaken.

Die KABS finanziert sich über die Beiträge ihrer Mitglieder, wozu auch Gemeinden und Städte zählen. Dass aber auch von staatlicher Seite mehr im Kampf gegen Stechmücken kommen muss, wird mit dem zunehmenden Erscheinen der berüchtigten Tigermücke deutlich. Sie kann das Dengue- oder das Zikavirus, das in der Folge auch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann, übertragen. Beides schwere tropische Krankheiten. Dank des Klimawandels werden sie hierzulande immer häufiger und lassen die gute alte Rheinschnake fast schon harmlos wirken.

Bei all der Angst vor Infektionen muss man im Fall von Aedes vexans zumindest festhalten, dass es sie hier schon immer gab und dass die Menschen seit jeher Wege fanden, mit ihnen zu leben. Ihre Dauerpräsenz drückt sich in zahlreichen Ortsbeschreibung aus, etwa der kultigen Gaststätte „Rhoischnook“ in Weisenau oder dem Germersheimer Karnevalverein „Rhoischnooke“. Und dennoch werden wir wieder alle froh sein, wenn zeitlich im Frühjahr die Hubschrauber der KABS am Himmel kreisen. Auch wenn es für einen berühmten Dichter viel zu spät kommt.

Foto: Katja Schulz via WikiCommons

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