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Gesellschaft

Warten, warten auf die Therapie

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Menschen, die psychisch erkrankt sind, müssen mehrere Monate auf einen Therapieplatz warten. Diese Belastungen ließen sich vermeiden, denn eigentlich stehen genug Therapeut:innen zur Verfügung. Aber wo liegt das Problem?

von Sina Möhlenkamp

Betroffene von psychischen Erkrankungen müssen in Deutschland durchschnittlich knapp fünf Monate auf einen Therapieplatz warten. Das geht aus einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer im Jahr 2019 hervor. In Hessen ist die Wartezeit zwar kürzer als im Bundesdurchschnitt, liegt aber nach Angaben der Psychotherapeutenkammer Hessen immer noch bei etwa 14 bis 16 Wochen. Auch in Rheinland-Pfalz ist die Situation nicht besser: Laut einer Erhebung aus dem Jahr 2019 sind es hier knapp 19,4 Wochen.

Jedes Jahr leiden in Deutschland etwa 20 Millionen Menschen an einer psychischen Erkrankung. Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen Angststörungen, Depressionen sowie Störungen aufgrund von Alkohol- und Medikamentenkonsum. Insbesondere in Zeiten aktueller Krisen wie Kriegen, dem Klimawandel und nicht zuletzt der Corona-Pandemie haben viele Menschen mit Stress und Ängsten zu kämpfen. Zugleich wird gegenwärtig offener über psychische Gesundheit gesprochen, was zur Entstigmatisierung der Thematik beiträgt, wie Sabine Maur, Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, dem SWR berichtet. Die Folge: Mehr Menschen suchen sich professionelle Hilfe.

An ausgebildeten Psychotherapeut:innen mangelt es jedoch nicht. Laut dem Statistischen Bundesamt waren das im Jahr 2021 etwa 53.000. Allerdings hat nur ein Teil von ihnen einen Kassensitz. Ohne diesen dürfen sie jedoch keine gesetzlich versicherten Patient:innen behandeln. Die Vergabe dieser Sitze regelt die Bedarfsplanung, die von einem Gremium festgelegt wird, dem unter anderem die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen angehören. „Die Bedarfsplanung stammt aus dem Ende der 90er-Jahre. Diese wurde als Basis festgelegt, die ausreicht, und seitdem nicht mehr angefasst“, erklärt die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hessen Dr. Heike Winter der Fernsehsendung Hessenschau. Insgesamt würden rund 7.000 Kassensitze fehlen.

Für die Betroffenen können lange Wartezeiten, je nach dem Zustand, in dem sie sich befinden, eine große Belastung sein. „Das Problem daran ist, dass, wenn du nach einem Therapieplatz suchst, du ja bereit sehr betroffen von deiner persönlichen Situation bist.“, erzählt Julia. Die 24-Jährige hatte Anfang 2022 nach einem Therapieplatz in Mainz gesucht: „Dann, wenn man schon psychisch so labil ist, noch diese Kraft und Energie in die Suche zu stecken, ist super belastend.“ Nach einem frustrierenden Beratungsgespräch ohne Aussicht auf ein Erstgespräch suchte sie die psychiatrische Notfallambulanz auf und verbrachte anschließend zwei Wochen auf der offenen Station der Psychiatrie. Aus der Psychiatrie heraus hatte sie dann weiter nach einem Therapieplatz gesucht – mit Hilfe ihres eigenen Tabellensystems, indem sie Wochentage und Sprechstundenzeiten aller Psychotherapeut:innen im Umkreis notierte. „Aber natürlich war ich auch in der Psychiatrie und hatte den ganzen Tag keine direkten Verpflichtungen also die Zeit, das zu machen und den seelischen Beistand.“ Damit hat es bei Julia letztendlich geklappt. „Ich musste bestimmt 20 bis 30 Nummern anrufen, aber ich habe drei Erstgespräche bekommen“ – und innerhalb von ein bis zwei Wochen dann den Therapieplatz.

Um lange Wartezeiten zu überbrücken, können Beratungsstellen eine erste Anlaufstelle sein. In der Mainzer Neustadt gibt es zum Beispiel das Beratungscafé „unplugged“. Hier können Menschen zwischen 16 und 27 Jahren mit anderen in Kontakt kommen und mit Fachleuten über ihre psychischen Probleme sprechen. Auch die „Werkgemeinschaft“ in Wiesbaden bietet ein solches Konzept an. Dies ersetzt zwar keine Therapie, kann aber erste Unterstützung bieten und helfen, den psychischen Zustand zu stabilisieren. Geraten Betroffene selbst oder andere in eine Notlage, sollte die psychiatrische Notfallambulanz aufgesucht werden. Julia rät: „Gib nicht auf, es kann auch schneller gehen als man denkt.“


WTF
Falls du momentan nach einem Therapieplatz suchst, schau mal hier:
wege-zur-psychotherapie.org

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