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Jäger im Staub

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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 39: Der Bücherskorpion

von Konstantin Mahlow

Nicht jede Spezies, die im STUZ-Gebiet fleucht und kreucht, tut dies zwangsläufig vor der Haustür, wie der Untertitel seit 38 Ausgaben suggeriert. Mit dem Spinnenläufer und der Nosferatu-Spinne wurden bereits zwei Arten vorgestellt, die lieber in der warmen Wohnung auf Beutesuche gehen und für regelmäßige Schreianfälle im Mietshaus sorgen. Gemein haben sie allerdings, dass sie zusammen mit der Großen Hauswinkelspinne, deren Sternstunde in dieser Kolumne sicher noch folgen wird, die mit Abstand kapitalsten Wirbellosen sind, denen man zu Hause begegnen kann. Doch wo der Mensch wohnt, verbergen sich über diese „Hingucker“ hinaus ganze Ökosysteme, deren Bewohner dank ihrer geringen Körpergröße von uns nur selten entdeckt werden. Im Schnitt leben bis zu 100 Tierarten in einer normalen Wohnung, darunter vor allem Arthropoden – also Gliederfüßler wie Spinnentiere oder Milben. Oder eben der Bücherskorpion, einer der aktivsten Jäger in dieser versteckten Welt.

Der Name mag zunächst für Stirnrunzeln sorgen, doch mit echten oder gar giftigen Skorpionen hat der für uns harmlose Bücherskorpion (Chelifer cancroides) nichts zu tun. Seine zur Klasse der Spinnentiere zählende Verwandtschaft wird nicht zufällig auch Pseudoskorpione genannt. In Mitteleuropa existieren dutzende, voneinander kaum zu unterscheidende Arten, deren bekanntester Vertreter der Bücherskorpion ist – hauptsächlich wohl aufgrund seiner Neigung, in menschlicher Umgebung zu hausen. Seine Körperlänge beträgt zwischen zwei und fünf Millimetern, hinzu kommen die – zumindest unter der Lupe imposant wirkenden – Scherenarme. Im Kosmos unter Hempels Sofa zählen sie damit zu den gefürchtetsten Räubern, wo sie vor allem Bücher- und Staubläuse, Springschwänze, Bettwanzen und Milben jagen. Also alles Tiere, die in der Beliebtheitsskala ihrer menschlichen Mitbewohner eher die hinteren Plätze einnehmen. Bücherskorpione sind daher Nützlinge, die von uns völlig unbemerkt einen wichtigen Beitrag zur Wohnungshygiene leisten. Googelt man nach Bildern, stößt man schnell auf die bekannte Abbildung eines Bücherskorpions, der seine Scheren in bedrohlicher Manier über einen überdimensionalen Buchstaben ausbreitet. Dass die Tiere tatsächlich auch zwischen verstaubten Akten und Büchern zu finden sind, hängt mit ihrer Vorliebe für trockene Lebensräume und enge Spalträume zusammen. Besonders Museen und Büchereien sind daher fast schon klassische Habitate. Auch alte Tapeten werden gerne angenommen. In der freien Natur bevorzugen sie Vogelnester oder die Rinde toter Bäume. Die achtbeinigen Jäger sind zwar mit bloßem Auge zu sehen und können auch gezielt gefunden werden, meist trifft man aber nur auf einzelne Exemplare, die sich nicht rechtzeitig verstecken konnten. Dennoch gibt es Menschen, die sich auf die komplizierte Suche nach Bücherskorpionen begeben und diese für ihre eigenen Zwecke aufsammeln – aus fragwürdigen Gründen.

Wer sowas macht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Imker oder Bienenzüchter. Hintergrund ist eine Publikation von Tobias Schiffer aus dem Jahr 2006, in der er behauptet, Bücherskorpione könnten gezielt in Bienenstöcken zur Bekämpfung der Varroamilben eingesetzt werden. Varroamilben gelten als der weltweit bedeutendste Schädling von Honigbienenvölkern. Und Bücherskorpione kommen auch von allein in Bienenstöcken vor, wo sie eine ganze Bandbreite an jagdbarer Beute vorfinden. Wissenschaftliche Beweise, dass sie die Population dieser bestimmten Milbenart signifikant beeinträchtigen und den Bienen damit unter die Flügel greifen, gibt es allerdings keine. Im Gegensatz zu zahlreichen Internetshops, die Pseudoskorpione an verzweifelte Bienenhalter verkaufen und damit ein gutes (Pseudo-)Geschäft machen. Die Seite mellifera.de, die sich der wesensgemäßen Bienenhaltung widmet, beschreibt diesen Trend als einen von vielen Strohhalmen im Kampf gegen die Schädlinge, dem jede Grundlage fehlt. Unter Imkern zählt der Bücherskorpion dennoch als Indikator für ein gutes Stockklima, so wie der Schmetterling für eine gesunde Blumenwiese.

Der ein oder andere, der nach der Lektüre dieses Artikels den Drang verspürt, einen Bücherskorpion in der eigenen Wohnung aufzuspüren, bemerkt womöglich, dass er gar nicht so viele verstaube Bücher oder Akten rumliegen hat. Bedroht die Digitalisierung etwa die nützlichen Milbenjäger, indem ihr Lebensraum beseitigt wird? Wohl kaum. Wer aber dennoch die faszinierenden Tierchen unterstützen will, sollte einfach seine gelesenen STUZ-Ausgaben in einer staubigen Ecke stapeln und in ihrer Umgebung das Saugen einstellen – so, wie wir es schon seit Jahrzehnten im Verlag praktizieren. Der Bücherskorpion wird es dir danken!

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