Form. Sprache
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HAP Grieshaber schafft Kunst, die die Menschen lieben, weil sie sich in ihr erkennen. Die Ausstellung „FORM | SPRACHE“ im Museum Wiesbaden stellt aktuell einen der bedeutendsten Grafiker des 20. Jahrhunderts vor.
von Marc Peschke
Das Museum Wiesbaden zeigt derzeit – begleitet von einem prächtigen, im Hirmer-Verlag erschienenen Katalog – die HAP GrieshaberÜberblicksschau „FORM | SPRACHE“. Zu sehen sind zum Teil sehr großformatige Holzschnitte im Gestus der für den Künstler so typischen, stilisierten, abstrahierten Figuration. Vor allem soll die Ausstellung den Künstler als „homme engagé“ präsentieren, der die Mittel des traditionellen Holzschnitts in die brisante Gegenwart überführt, indem er den Fokus seiner Werke immer wieder auf politische und soziale Themen legt. Das macht ihn aktuell und die Schau so sehenswert. (Dadurch fängt die Schau den Zeitgeist ein, was sie umso sehenswerter erscheinen lässt.)
Die Ausstellung, die bis zum 21. Januar zu sehen ist und von Jana Dennhard kuratiert wurde, ist eine Hommage an das traditionelle Drucken selbst: „Drucken ist stets eine junge Kunst gewesen. Lasst sie euch nicht nehmen!“, schreibt HAP Grieshaber im Jahr 1979. Dabei thematisiert er schon damals die heute so sichtbaren negativen Folgen einer Digitalisierung, die den Menschen vom Leben selbst entfernt.
1909, als HAP Grieshaber in Rot an der Rot in Oberschwaben geboren wurde, war der Holzschnitt eine angesagte Technik in der Kunst. Das Hochdruckverfahren – der Druck mit einem hölzernen Druckstock, der mit Schneidemessern bearbeitet und anschließend abgedruckt wird – war noch einmal in Mode gekommen. Denn die Expressionisten, Künstler wie Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner oder Max Pechstein hatten erkannt, dass das uralte Druckverfahren enormes Potential für die verwirrende, von Krieg und Krisen geprägte Gegenwart hatte.
In der Kunst nach dem zweiten Weltkrieg dominierte dann die Abstraktion – Holzschneider wurden seltener. Doch da war noch einer, nämlich HAP Grieshaber, der fast ausschließlich Holzschnitte anfertigte. Er war der Neuentdecker des Holzschnitts und ein Vorreiter in seinen Sujets: Naturschutz etwa, Umweltzerstörung oder der politische Protest sind Sujets, die er schon in den 1970er Jahren behandelt und die in ihrer Brisanz direkt an die Gegenwart anschließen. Soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit beschäftigen ihn – er nutzt die mittelalterliche Technik des Holzschnitts für seine modernen Themen.
Helmut Andreas Paul Grieshaber war ein Künstler, der zu seiner Zeit Anstoß erregte. Natürlich bei den Nationalsozialisten, die ihm ein Berufsverbot androhten. Der Künstler wurde zum Hilfsarbeiter in Reutlingen. Später wurde er in die Wehrmacht eingezogen. Der Erfolg kam in den 1950er Jahren: 1955 wurde er als Nachfolger von Erich Heckel als Professor an die Kunstakademie Karlsruhe berufen. 1960 trat er, der „homme engagé“, aus Protest gegen den Lehrplan Kunst für höhere Schulen als Professor an der Akademie zurück.
Berühmt wurde Grieshaber mit seinen großformatigen Farbholzschnitten, mit Bilderzählungen wie „Affen und Alphabete“, „Osterritt“, „Totentanz von Basel“ oder „Der Bauernkrieg im Taubergrund“ – oft gestaltet als mehrteilige Zyklen. Im Museum Wiesbaden ist in Erinnerung an den Bauernkrieg und den gleichnamigen süddeutschen Maler und Bauernführer das Blatt „Für Jerg Ratgeb“ zu sehen, ebenso wie „Affen mit Gewehr“.
Bis zu seinem Tod 1981 im schwäbischen Eningen wirkte Grieshaber als Mahner und Warner, aber auch als ein Künstler, dessen Liebe zu den Menschen auf mannigfaltige Weise aus seinem Werk spricht. Als Teilnehmer an der documenta I, II und III in Kassel, aber auch an der XXXI. Biennale in Venedig, erreichte ihn der Erfolg noch zu Lebzeiten: Er wurde zum einflussreichsten Neuerer des Holzschnitts im 20. Jahrhundert. Grieshaber schafft Kunst, welche die Menschen liebten und immer noch lieben. Werke der Ausstellung wie „Gefesselte Taube“, „Für Jerg Ratgeb“ oder „Sommer“ rühren an – ähnlich wie bei manchen Arbeiten von Pablo Picasso. Weil sich die Betrachter trotz oder gerade wegen ihrer abstrahierenden Vereinfachung in ihr erkennen. Weil diese Kunst von ihren Ängsten, Nöten und Kämpfen erzählt. Weil sie den Menschen auch unserer Tage einen Weg zum Ursprünglichen weist: Da ist ein Baum, die Landschaft der Schwäbischen Alb, die Natur, zwei sich liebende Menschen. Da sind die Tiere. Und schließlich: Weil sie sich auflehnt, weil sie ein starkes Votum ist gegen jede Unterdrückung und Gewalt. Grieshaber war auch als Lehrer von Einfluss. Zu seinen Schülern gehörten unter anderem Horst Antes, Peter Härtling und Walter Stöhrer. Die Ausstellung „FORM | SPRACHE“ stellt ihn nun umfassend vor.
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Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
Bis 21. Januar 2024
museum-wiesbaden.de