Großstadtgezwitscher
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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 35: Der Hausrotschwanz
von Konstantin Mahlow
Städte sind Lebensräume: Nicht nur für Menschen, sondern auch für eine immer größer werdende Zahl an Pflanzen und Tieren. Manche von ihnen finden selbst dort noch einen Platz, wo es nichts außer versiegelten Flächen und dünnen Bäumen gibt, die nur als Alibi in den Asphaltboden gerammt worden sind und jeden Sommer vor dem Vertrocknen gerettet werden müssen. Scheinbar sind es genau diese lebensfeindlichen Viertel, die die Stadt Mainz und andere Investoren im Bausektor besonders attraktiv finden. Und so sehen sie dann eben aus, die neuen Betonwüsten beispielsweise im Mainzer Zollhafen oder ganz in der Nähe davon am Caroline- Stern-Platz. Und doch ist der Begriff lebensfeindlich nicht ganz zutreffend, denn auch hier siedeln sich verschiedene Arten an. In ihren Genen steckt noch die Anpassung an das Leben in Gebirgen, an Felsklippen oder anderen, vegetationsarmen Landschaften, in denen ihre Vorfahren einst eine ökologische Nische fanden. Heute bieten ihnen ausgerechnet die trostlosen Innenstädte diesen speziellen Lebensraum, wenn auch ungewollt. Doch das dürfte dem Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) völlig egal sein.
Der kleine Singvogel war einst ausschließlich im Bergland anzutreffen. Dass es heute über eine Millionen Brutpaare in Deutschland gibt, liegt an seinem erfolgreichen Umzug in die Häusermeere der Großstädte. Die Begebenheiten hier müssen dem Hausrotschwanz wie ein Felsmassiv im Flachland vorkommen, aber mit mehr Grün und dementsprechend mehr Insekten als Nahrungsquelle. Unter dem Strich also perfekte Bedingungen für die immerzu aktiven Vögel. Da er auch in baumlosen Landschaften gut zurechtkommt, gehört er wie die Tauben zu den wenigen Arten, die noch in den grauesten Innenhöfen zu finden sind. Im August dieses Jahres konnte man im Mainzer Zollhafen entlang des goldenen „Pandion Doxx“ ein Hausrotschwanz- Pärchen bei der Fütterung ihres schon flüggen Jungen beobachten. Andere typische Stadtvögel wie Amseln und Meisen sucht man auf dem Gelände dagegen vergeblich. Kleine Nischen und Öffnungen an Gebäuden reichen dem Hausrotschwanz schon, um sein Nest zu bauen. Wichtig ist eine ausreichende Anzahl an Singwarten wie Hausdächern oder Mauern, die möglichst exponiert sind. Auch in ihrer alten Heimat suchen sich die Männchen immer die höchsten Felsen im Revier zum Singen aus.
Der Gesang ist laut und unverwechselbar, eine Kombination aus klappernden, knirschenden, pfeifenden und fauchenden Tonelementen in wechselnder Reihenfolge. Besonders Frühaufsteher sind mit ihm vertraut, da Hausrotschwänze bereits 70 Minuten vor Sonnenaufgang zu singen beginnen. Das kommt nicht bei allen Mitbewohnern der Betonwüste gut an, besonders wenn die Singwarte nur wenige Meter neben dem Schlafzimmerfenster liegt. Davon abgesehen ist es ein kurzweiliger Spaß, die flinken und immerzu nervös wirkenden Rotschwänze bei ihrem Tagesgeschäft zu beobachten. Ständig flitzen und fliegen sie in ihrem Revier herum, knicksen mit ihren Beinen und zittern hektisch mit ihrem Schwanz, der bei beiden Geschlechtern rostrot ausfällt. Die Männchen tragen darüber hinaus ein elegantes grau-schwarzes Gewand mit weißen Flügelpartien, die Weibchen bleiben grau-braun. Eine Verwechslungsgefahr besteht vor allem mit dem sehr ähnlichen Gartenrotschwanz, der aber viel seltener vorkommt und den Häuserlandschaften der Städte bei weitem nicht so viel abgewinnen kann.
Die meisten Hausrotschwänze ziehen im Herbst nach Afrika und in den Nahen Osten, einige Exemplare bleiben den Winter über hier. Bei der Rückkehr geht der Kampf um die Reviere los, die sich die Männchen aussuchen. Neben genügend Nistmöglichkeiten und Singwarten ist ein ausreichendes Nahrungsangebot ein wichtiges Kriterium für die Rotschwänze. Außer Beeren, Insekten und Larven verspeisen sie mit Vorliebe, Achtung: Spinnen. Bewohner des Mainzer Zollhafens sollten an der Stelle hellhörig werden, denn seit Fertigstellung der Gebäude werden sie von einer Armada verschiedener Spinnenarten heimgesucht. Das dürfte einer der Gründe sein, warum das Haurotschwanz-Pärchen auf dem Doxx-Gelände erfolgreich Nachwuchs zeugen konnte und es im nächsten Jahr wohl wieder versuchen wird. Im Zollhafen sollte man darüber froh sein und die Rotschwänze willkommen heißen, auch wenn sie morgens schon so früh auf den Beinen sind.
Foto: Mag. Christian Bechter, Voralberg via wikiCommons