Geschichten aus Glas
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Nabo Gass aus Wiesbaden ist fasziniert vom Rohstoff Glass. In seinem Atelier malt der Glas-Künstler auf und mit Glas und erschafft neuartige, ungewöhnliche und ausdrucksstarke Kunstwerke.
von Inken Paletta
Wir treffen den Künstler in seinem Atelier am Biebricher Rheinufer. Die Vormittagssonne schimmert durch die Glasskulpturen und farbenfrohen Porträts aus Glas. Auf seiner Schulter sitzt Raba, die schwarze Krähe, das Maskottchen des Ateliers, die er gerettet und aufgepäppelt hat. „Sie ist bereits 15 Jahre alt und noch immer ganz verliebt in mich“, erzählt Nabo Gass, der 1954 in einem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb bei Ebingen in Baden- Württemberg das Licht der Welt erblickte. „Ich mag meine Heimat, doch mir war schon früh klar, so ein hartes Leben wie meine Großeltern wollte ich nicht führen. Ich war zudem ein Freigeist. Ich wollte in die Welt hinaus.“ Noch bevor er volljährig wurde, zog er deshalb von zu Hause aus, schmiss die Schule und hielt sich eine Weile mit Aushilfsjobs über Wasser. „Doch ich wusste auch, dass mir so keine rosige Zukunft bevorstand. Ich erzählte meinem Vater, dass ich eine längere Reise machen wollte, um zu mir selbst zu finden.“ Sein Vater war einverstanden, wenn er nach seiner Rückkehr eine Entscheidung für eine Ausbildung treffen würde. Die Reise führte Nabo Gass durch Jugoslawien, Italien und Sizilien. „Ich lernte viel über Kirchen und Architektur und brachte mir das Zeichnen bei.“ Beim Anblick der Glasfenster des italienischen Künstlers Lorenzo Ghiberti im Dom von Florenz erinnerte sich Gass an sein Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte. „Ich möchte Kirchenfenster gestalten“, lautete sein Entschluss, auch weil er glaubte, sein Vater könne ihm bei dieser Ausbildung nicht reinreden.
Ausbildung mit Glas
Doch weit gefehlt: Auf Drängen und durch Kontakte seines Vaters stellte er sich schließlich bei einer renommierten Werkstatt für Glasmalerei in Rottweil vor. „Natürlich hoffte ich, mit meinem Schlabberlook und den langen Haaren würde mich keiner einstellen“, erzählt Gass mit einem Grinsen. Doch schon Tage später kam der Anruf, dass er gut ins junge Team am neuen Werksstandort in Wiesbaden-Taunusstein passen würde. Während seiner Ausbildung zum Glasmaler und Kunstglaser lernte Gass alles über das zerbrechliche Material und seine Verarbeitung. Abends besuchte er Mal- und Zeichenkurse an der Wiesbadener Freien Kunstschule. „Doch meine Tätigkeit ließ mir kaum Spielraum für Gestaltungsideen.“ Nach seiner Ausbildung machte sich Gass deshalb selbstständig und ging für eine Künstlerweiterbildung nach Berlin. 1979 kehrte er nach Wiesbaden zurück, arbeitete zunächst als Medienpädagoge beim städtischen Jugendamt und gab parallel Mal- und Zeichenkurse. Die Laienarbeit war ihm jedoch auf Dauer nicht genug: Er wollte selbst Kunst schaffen. Mitte der 1980er-Jahre gründete er dann sein „Atelier Transparent“. 2001 zog er mit seiner Kunst in das heutige „Uferatelier“ am Biebricher Rheinufer um.
Ausstellungen und Kunst am Bau
Dass Glas ihn so fasziniere, habe mehrere Gründe, verrät der Künstler. „Ich sehe besonders in der Transparenz von Glas eine Chance. Glas ist nie losgelöst von seiner Umwelt zu sehen, aber mit mehreren Glas-Ebenen kann man wunderbar Geschichten erzählen oder Botschaften transportieren.“ Für ein Selbstporträt habe er beispielsweise sein eigenes Gesicht sowie das seiner Mutter auf zwei Glasscheiben gesandstrahlt. Übereinandergelegt zeigt es die Ähnlichkeit und auch die Verbundenheit zueinander. Seine „Short Moments“, Skulpturen aus Glas, sind wiederum ein Symbol dafür, dass, das Leben vergänglich ist oder es sich von einem auf den anderen Moment drastisch verändern kann. Spannend findet der Künstler zudem den Einsatz von Glas in der Architektur. Für seine selbstentwickelte Splittertechnik zur Gestaltung von Glasfassaden in Verbindung mit Photovoltaik erhielt er 2000 sogar den Innovationspreis der Glastec Düsseldorf. 2011 entstand nach seinem Entwurf in Coesfeld-Lette, im Münsterland, ein riesiges, gläsernes, sich energetisch selbsttragendes Hochregallager für ein großes Unternehmen. Für den Entwurf wurde er vom Bundesverband Deutscher Architekten Münsterland mit Gold ausgezeichnet. Seine Glaskunst ist auch international gefragt und wurde bereits in Paris an der Sorbonne, in Den Haag sowie im nichteuropäischen Ausland, beispielsweise in Seoul, ausgestellt. „Tatsächlich ist Glas in der Kunst in Südkorea nicht so verpönt wie in Europa“, erzählt Gass und ergänzt: „An der Universität in Seoul gibt es sogar eine Glaswerkstatt, damit Künstler mit Glas arbeiten und experimentieren können. Es wäre toll, wenn sich auch bei uns in Europa noch mehr Künstler an den Rohstoff Glas herantrauen würden.“
Foto: Lisa Violetta-Sass
WTF
Nabo Gass
Uferatelier – Atelier für Glasmalerei und
Kunst am Bau
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65203 Wiesbaden
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