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Gesellschaft

Musikgeschmack – Never ending Streitthema

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Die positive Wahrnehmung von Musik ist etwas rein Individuelles und Subjektives. Viele Menschen tun sich schwer, das zu verstehen. Warum es kein besser und schlechter gibt.

von Nils Lacker

Ein Musikgeschmack entwickelt sich unter dem Einfluss zahlreicher Faktoren. Neben dem kulturellen Hintergrund spielt das Alter die größte Rolle. So zeichnen sich Kinder durch ihre Offenheit gegenüber jeder Musikform aus, während Jugendliche sich eher am Musikgeschmack der Clique orientieren. Mit etwa Ende zwanzig festigt sich die Präferenz bei den meisten. Altersunabhängig bieten Musikgeschmäcker oftmals Anlass zu Auseinandersetzungen, in denen es um Label geht wie Indie gegen Mainstream oder alt gegen modern. Die eigene Musik als die bessere zu deuten und gleichzeitig die der anderen abzuwerten, zeugt eher von Arroganz als einem regen kulturellen Geist. Musik ist immer eine Kunstform und ein Unterhaltungsmedium und wird dann gut, wenn sie jemand genießt.

Der Versuch eines qualitativen Vergleichs scheitert schon daran, dass sich Musik in unterschiedlichen Genres abspielt, in denen unterschiedliche Dinge wichtig sind. Wer Taylor Swift ob der Verwendung von komplexen Modulationen bewertet, kann es gleich sein lassen. Wer bei Franz Liszt nach einer massentauglichen „catchy hook“ sucht, sucht vergebens. TS braucht aber keine akademischen Kniffe aus der Harmonielehre und Franz Liszt hätte die versnobte Oberschicht nicht mit „Anti-Hero“ überzeugen können. Beide sind innerhalb ihres Genres renommiert, weil sie unter ähnlichen Künstler:innen herausstechen. Genreintern ist ein qualitativer Vergleich oftmals ebenso sinnlos. Auch Beyoncé würde sich bei der Frage nach besser und schlechter nur schwer mit TS vergleichen lassen, weil andere Einflüsse und Fähigkeiten eine Rolle spielen. So ist TS beispielsweise für die narrative Struktur ihrer Texte bekannt, während B insgesamt die aufwändigeren Performances hinlegt. Wichtig zu verstehen ist auch, dass die Stücke von Liszt nicht automatisch besser sind als die Songs von TS und B, weil sie eine komplexere Komposition aufweisen. Die Unterteilung in E(rnste)- und U(nterhaltende)-Musik ist schon lange ein Streitthema in der Musikwissenschaft. Dabei wird E-Musik aufgrund ihres höheren Anspruchs als kulturell wertvoll angesehen, U-Musik nicht, weil simpel.

Die größte Gemeinsamkeit von Taytay, Queen B und Liszt bestehet jedenfalls darin, dass sie mit dem Tonsystem der westlichen Welt arbeite(te)n. Wenn sich der Großteil der Bevölkerung hierzulande über Musik unterhält, bezieht er sich damit auf die populäre Musik der westlichen Welt, egal ob es um House geht oder „Die 500 besten Songs aller Zeiten“ des Rolling Stone-Magazins. Jene Liste beinhaltet keinen Song von beispielweise Ikonen der arabischen populären Musik. Sie spiegelt das populärmusikalische Gedächtnis des Westens, vorwiegend der USA. Jedoch ist es schon fragwürdig, von den besten Songs zu sprechen und dann nur die Musik von zwei Kontinenten plus AC/DC zu inkludieren. Genauso wäre es fragwürdig von sich zu behaupten, einen guten Geschmack zu haben, nur Free Jazz zu hören und keinen einzigen äthiopischen Pop-Song zu kennen.

Es ist mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden, Musik aus aller Welt kennen und schätzen zu lernen. Jedoch gibt es zwei Suchkriterien, die der Orientierung dienen können: Authentizität und Originalität. Beide zu erkennen, erfordert Aufmerksamkeit, ein trainiertes Gehör und viel (populär)musikalisches Wissen. Diese zwei Begriffe gab Musikkritiker Anthony Fantano dem Kanal „Sound Field“ als Antwort auf die Frage, wie die zwei Betreiber:innen von ihm eine 10/10-Rezension bekämen. Fantano betonte während des Interviews jedoch, dass selbst wenn er eine 10/10 vergibt, handele es sich dabei immer noch um seine subjektive Meinung. Niemand solle sich damit schmücken, ein 10/10-Album zu hören. Auch solle sich niemand angegriffen fühlen, wenn er der Lieblingsband eine 0/10 gibt. Die Frage, die er mit seiner Rezension beantworten wolle, sei immer: „Ist dieses Album deine Zeit wert?“

Wenn also jemand wieder den Drang verspürt, die Lieblingsmusik des Gegenübers zu diskreditieren, sollte die Person es einfach so formulieren: „Ich höre Musik, die deine Zeit Wert sein könnte“, statt „Die Musik, die du hörst, suckt“. Es empfiehlt sich, wie Kinder Musik und Genres aus aller Welt mit einem offenen Ohr zu begegnen und Leute Dinge genießen zu lassen, mit denen man selbst nichts anfangen kann. Es lebe die Musik!

Illustration: Nikolas Hönig

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