Die „glückliche“ Minderheit
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Im Handwerk fehlen junge Gesellinnen und solche, die es bleiben wollen. „Das Handwerk“ versucht dem mit einer Imagekampagne entgegenzuwirken, die vor allem Frauen ansprechen soll.
von Leon Groß
Laut der Studie „Verbleib und Abwanderung aus dem Handwerk“ verlassen 30 Prozent der jungen Handwerker:innen ihre Berufe in den ersten Jahren nach der Ausbildung. Das liegt nicht nur an schlechter Bezahlung und harter körperlicher Arbeit. Das Handwerk ist nach wie vor eine Männerdomäne mit veralteten Machtstrukturen. Bei lediglich zehn Prozent weiblichen Erwerbstätigen sind Betriebe keine Seltenheit, in denen die Frauen auf dem Würth- Erotikkalender die einzigen Frauen in der Werkstatt sind. Immerhin, der Erotikkalender von Würth wird seit diesem Jahr nicht mehr produziert. Die Pressesprecherin des Unternehmens sagt dazu: „Berufsbilder werden immer weniger nach klassischen Rollenmodellen besetzt. Das unterstützen auch wir.“ Doch wer sorgt dafür, dass die Frauenbilder der Vergangenheit nicht nur von den Wänden, sondern auch aus den Köpfen verschwinden? Die Handwerkskammern bemühen sich im Hinblick auf den Fachkräftemangel medienwirksam darum, mehr Frauen fürs Handwerk zu begeistern.
Tatsächliche Unterstützung für weibliche Auszubildende kommt jedoch zu wenig, findet Annika Schega, Auszubildende zur Tischlergesellin im dritten Lehrjahr. Annika hat sich mit einem offenen Brief an ihre Innung und die Handwerkskammer Wiesbaden gewandt. Der Kern ihres Anliegens ist es, Minderheiten im Handwerk nicht allein zu lassen und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen ein diskriminierungsfreies Arbeiten möglich ist. Als Reaktion auf ihren Brief hat sie der Geschäftsführer der Wiesbadener Handwerkskammer zu einem Gespräch eingeladen. „Das Gespräch ging über eine Stunde und ich hatte das Gefühl, dass mein Anliegen sehr ernst genommen wurde, aber im Endeffekt haben wir vor allem viel darüber geredet, was alles nicht möglich ist“, berichtet Annika. Zwar hat die Handwerkskammer großen Einfluss auf die Betriebe und kann beispielsweise Ausbildungslizenzen entziehen, jedoch müssten die Betroffenen immer mit konkreten Schilderungen an sie herantreten und Vorfälle melden. Für Annika ist dies eine zu große Hürde. „Bei mir hätte es im Jahrgang sehr viel geändert, wenn zu Beginn der Ausbildung jemand zu uns gekommen wäre und gesagt hätte: Ich bin die Person, an die ihr euch bei Problemen im Betrieb wenden könnt.“ Ein weiterer Vorschlag aus ihrem Brief sind Bewertungsbögen, die den Auszubildenden die Chance geben, anonymisiert ihre Erfahrungen in den Betrieben zu schildern. „Es ist nicht der Anspruch, dass Friede, Freude, Eierkuchen herrscht und dass es keine Hierarchien mehr gibt, aber es gibt klare Vorfälle von Belästigung, die gang und gäbe sind, und da verstehe ich nicht, warum die Verantwortung derart bei den Leidtragenden liegen bleibt.“ Mangels Unterstützung sind die Auszubildenden darauf angewiesen, sich selbst zu organisieren, wenn sie mit ihren Problemen und Erfahrungen nicht allein bleiben wollen. Eine Möglichkeit sich auszutauschen, hat Annika bei den jährlich stattfindenden Treffen der Tischlerinnen* gefunden. Dort treffen sich Meisterinnen*, Gesellinnen*, Auszubildende sowie Frauen*, die diesen Beruf erlernen wollen.
Also alle, die auf der Website von „das Handwerk“ als „glückliche Minderheit“ bezeichnet werden. Diese Bezeichnung geht aus der Studie „Handwerksstolz“ hervor, in der Frauen im Handwerk eine überdurchschnittliche Zufriedenheit mit ihrer Berufswahl angegeben haben. Dass diese Zufriedenheit kein Resultat von erfolgreicher Gleichberechtigung ist, verdeutlicht eine Aussage der Leiterin der Koordinierungsstelle zur Frauenförderung der Handwerkskammer, Christina Völkers: „Gerade in vielen Handwerksberufen, die als typisch männlich gelten, wird Frauen oft kein roter Teppich ausgerollt. Daran hat auch der Fachkräftemangel nur wenig geändert. Wer also als Frau einen solchen Handwerksberuf ergreift, der will das auch. Denn dazu braucht es unverändert den Willen und die Kraft, gegen Vorurteile anzugehen und sich durchzusetzen.“
Viele Frauen im Handwerk sind also nicht wegen, sondern trotz der Umstände mit ihrer Berufswahl zufrieden und arbeiten, so wie Annika, zusätzlich zu ihrer 40-Stunden-Woche an der Veränderung dieser Umstände mit. Dass Menschen neben der Ausbildung dazu die Kraft und Zeit aufbringen ist bewundernswert, dass sie es müssen, um Veränderungen anzustoßen, ist ein Armutszeugnis für das Handwerk, das sich doch vermeintlich so um neue Auszubildende bemüht.
Illustration: Lein Scheich