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Kultur

Gefangen im Museum

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Über 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes sollen sich außerhalb des Kontinents befinden. Sie wurden schlicht geraubt. Auch in unseren lokalen Museen finden sich Artefakte dieser Kolonialgeschichte.

von Caroline Alberta Glabacs

Während sie in den vergangenen Wochen vor allem als Austragungsort von Protesten durch Klimaaktivist:innen in den Schlagzeilen vertreten sind, schlummern in unseren Museen seit Jahrhunderten unzählige Artefakte. Der Öffentlichkeit werden sie weiterhin gutgläubig als „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ präsentiert. Häufig unterschlagen oder erst an letzter Stelle berichtet wird, welche Unterdrückung und Ungerechtigkeit hinter der Aneignung der Kulturgüter steckt.

Weit über 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes sollen sich außerhalb des Kontinents befinden. Auch in unserer Region finden sich Fragmente kolonialer Weltgeschichte wieder. Zum Beispiel wird im Museum Wiesbaden eine ethnologische Sammlung verwahrt, deren Herkunft bis in das 19. Jahrhundert zurückdatiert wird – Relikte des deutschen Kolonialismus. Im Wesentlichen handelt es sich um afrikanische und südamerikanische Kulturgegenstände. Bis heute ist oft unklar, unter welchen Umständen die Objekte in europäische Hände gelangten. Durch die Tyrannei und die gierige Natur der Kolonialmächte mussten die Länder zahlreiche menschliche und materielle Verluste erleiden. Realistisch betrachtet, kann wohl nur ein kleiner Teil der Objekte den Kategorien „Schenkungen“, „Tauschware“ und „Ethnotourismus“ zugeordnet werden. Im Rahmen eines bundesweiten Vorhabens engagieren sich Vertreter:innen von Museen und Forschungseinrichtungen aus Hessen für die Aufarbeitung von kolonialen „Sammlungsgütern“. Die hessische Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn äußerte deutlich: „Deutschland war eine Kolonialmacht und hat in den Gebieten, die es sich aneignete, teils unfassbare Verbrechen begangen. Darüber gesprochen wird heute noch zu wenig.“ Damit bezieht sie sich unter anderem auf den Völkermord an den Volksgruppen der Herero und Nama in Namibia. Und das damit verbundene Einsacken kulturrelevanter Gegenstände – blutige Souvenirs.

Einen prominenten Fall von Raubkultur stellen die Benin-Bronzen dar. Die Regierung Nigerias und Historiker:innen mutmaßen, dass diese bei einer Expedition 1897 vermutlich aus Geltungssucht oder Gier nach royalen Reichtümern ihren rechtmäßigen Heimatstätten entrissen wurden. Die Zahl der gestohlenen Kulturgegenstände beläuft sich auf etwa 4000 bronzene Büsten, Schnitzereien aus Elfenbein und religiöse Gegenstände, die schon damals bereits bis zu 700 Jahre alt waren. Europäische Fachleute sprachen den Afrikaner:innen eine derart faszinierende Handgeschicklichkeit ab und erklärten alte europäische Seefahrer zu den Urhebern. Als die Kunststücke in Europa eintrafen, kamen sie in den Besitz von Museen. 900 Werke behielten die Briten, die sie seither in Abstellkammern lagern. Wiederholte Male forderte die nigerianische Regierung die Überlassung ihres Kulturerbes. Das Zynische: Britischen Museen ist die permanente Aushändigung von Kulturobjekten infolge des British Museum Act of 1963 gesetzlich untersagt.

Durch die seit Jahren immer lauter werdende Kritik an Museen, scheint eine Welle der Einsicht losgetreten worden zu sein. 2022 sichert der französische Präsident die Rückgabe 26 gestohlener Artefakte, der Abomey Treasures, an Benin zu. Darauf folgt Deutschland mit der Aushändigung von 92 Bronze-Artefakten – einem Bruchteil von insgesamt etwa 1000 Objekten.

Bürokratische und rechtliche Hürden, fehlende Einsicht sowie ausbleibender Dialog machen das Vorhaben oft zu einer mühsamen Entwicklung. Zudem werden Kulturgüter, auch hierzulande, für überirdische Summen gehandelt – ohne Rücksicht auf moralische und kulturelle Sensibilität.

Einen konstruktiven Ansatz liefert das „Projekt zur Digitalisierung des Sammlungsguts aus Kolonialzeiten“, woran sich auch das Wiesbadener Museum beteiligt. Zumindest wird dadurch der Dialog zwischen Fachleuten hier und dem Ursprungsort der Exponate aufgenommen. Dr. Andreas Henning, Direktor des Museums Wiesbaden, gab bekannt, dass im Netzwerk nach gemeinsamen Forschungsansätzen und Kooperationsmöglichkeiten gesucht werde. Doch solange sich die „weiß-dominierten“ Institutionen nicht erbarmen, die Kulturgüter endgültig in ihren rechtmäßigen Besitz zu übergeben, gelten jene signifikanten Artefakte als stilles Symbol dafür, dass sie und ihre Geschichte wie „Gefangene“ in europäischen Museen festgehalten werden.

Foto: Sailko via Wikicommons

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