Die Unordnung der Welt
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Unter dem Titel „FLUX4ART. Kunst in Rheinland-Pfalz“ läuft derzeit die dritte Auflage der Landeskunstschau. An vier Ausstellungsorten in Mainz und Neuwied werden Arbeiten von rund 60 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern gezeigt. Ergänzt wird das Angebot durch Lesungen und Gesprächsrunden.
von Alfred Paschek
Wer versuchen will, die Welt zu verstehen, kann wissenschaftliche Texte lesen, in die Kirche gehen, die heute-show gucken – und vieles anderes mehr. Auch soll es eine wachsende Zahl von Leuten geben, die sich nur noch mit Hilfe „des Internets“ einen Reim auf die Dinge machen. Die bis vor kurzem gehegte Hoffnung, dass diese Fülle an Orientierungsund Wissensangeboten automatisch mündige und aufgeklärte Menschen hervorbrächte, ist inzwischen verflogen. Nicht selten führt der bloße Konsum in grimmige Überzeugungsclubs. Und wer sich erst einmal in seiner mentalen Komfortzone – auch „Bubble“ genannt – eingerichtet hat, wird so schnell nicht mehr willens oder in der Lage sein, andere Sichtweisen und Auffassungen gelten zu lassen. Doch sind nicht gerade Multiperspektivität und Offenheit Kennzeichen modernen Lebens?
Wer diese Lebensweise nicht aufgeben will, kann Zeitung lesen, mit seiner Nachbarin diskutieren, sich mit zeitgenössischer Kunst befassen. Zu Letzterem bietet die Landeskunstschau reizvolle Gelegenheiten: in der Kunsthalle und im Landesmuseum Rheinland-Pfalz in Mainz sowie im Roentgen-Museum und in der StadtGalerie Mennonitenkirche in Neuwied. Die Veranstaltungsbroschüre gibt Auskunft zur selbstbewussten Programmatik: „Gerade in Zeiten der Krise braucht es die Kunst als Seismograph für festgefahrene Seh- und Sichtweisen, als Korrektiv unzeitgemäßer Wahrnehmungsmuster, als Fundus zukünftiger Handlungsoptionen.“ Angesichts schwindender Gewissheiten und Orientierungspunkte gelte es, neue Perspektiven einzunehmen, um positive Entwicklungsmöglichkeiten erkennen zu können. Man darf dies als Einladung verstehen, sich mit den Deutungsversuchen und Statements der beteiligten Künstlerinnen und Künstler auseinanderzusetzen. Am Beispiel der Ausstellung im Mainzer Landesmuseum wird deutlich, dass die disparaten Objekte und Installationen schwerlich auf einen Begriff zu bringen sind. Mal experimentell und rätselhaft, mal kritisch und reflektierend, dann wieder verspielt und assoziativ nähern sie sich einer Bandbreite nicht gerade leichtgängiger Themen: Fortschritt, Ungleichheit, Vergänglichkeit, Konsum, Erkenntnis – um nur einige zu nennen. Gute Hilfestellung leistet im Landesmuseum die Handreichung samt Lageplan und Kommentaren zu den ausgestellten Arbeiten. Die kurzen Texte erleichtern den Zugang zu den Werken und vermitteln etwas von dem Spirit, der diese Schau durchzieht. Subversive Attitüden? Fehlanzeige. Provokationen? Muss man suchen. Stattdessen geht es vorrangig um Dialog und konstruktive Auseinandersetzung. Die Objekte sind teils so arrangiert, dass sie mit den übrigen Museumsexponaten korrespondieren (etwa in der Steinhalle), ohne Konflikte zu inszenieren. Dem Publikum droht keine übermäßige Irritation. Niemand wird sich angewidert abwenden müssen, der Besuch soll als Gewinn verbucht werden können.
Die Vielstimmigkeit und Uneindeutigkeit, die an den Veranstaltungsorten geboten wird, ist dem Gesamtkonzept der Landeskunstschau geschuldet. Der Name FLUX4ART ist nicht nur ein Anklang an unstetes Fließgeschehen, sondern erinnert auch an die Kunstrichtung „Fluxus“, die, ausgehend von den USA und Deutschland, in den 1960er Jahren zu einiger Bekanntheit gelangte. Nach Dadaismus, Surrealismus und anderen avantgardistischen Bewegungen propagierten ihre Vertreter alternative, anti-elitäre Kunstauffassungen und bedienten sich unkonventioneller Ausdrucksmittel, um die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen und dessen Sichtweisen zu erweitern. FLUX4ART ist von dieser künstlerischen Protestform inspiriert, und wahrt zugleich die Distanz. „Wir möchten es vermeiden, die Landeskunstschau explizit in die Tradition einer bestimmten Bewegung zu stellen, weil wir uns konzeptionelle Freiheiten bewahren wollen“, erklärt Christina Körner, künstlerische Leiterin des Projekts beim Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Rheinland-Pfalz.
Es mag etwas abgegriffen klingen. Aber einer Veranstaltung, die dazu anregen möchte, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und ungewohnte Betrachtungswinkel einzunehmen, sind viele Besucherinnen und Besucher zu wünschen. Übersichtlicher wird die Welt kaum mehr. Wir sollten lernen, damit umzugehen.
Daten und Infos unter flux4art.de
Foto: Susanne Britz Trockenleitung MARstall