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Gesellschaft

Klein & Kariert #5

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Über Geschmack lässt sich nicht streiten? Quatsch! Vor allem die Diskussion vermeintlicher Nebensächlichkeiten kann uns stundenlang beschäftigen. Apropos: Was
halten wir eigentlich von Armbanduhren?

von Leon Groß und Julius Ferber

Lieber ein zerknittertes Gesicht als ein nacktes Handgelenk. Hot take, ich weiß. Aber der Reihe nach. Kürzlich las ich Martin Suters „Die Zeit, die Zeit“. Das Buch war besser als sein Titel und legte mir dar, dass es die Zeit ja gar nicht gebe, sondern nur die Veränderung. Ei der Daus! Eine Sicht, für die ich persönlich mich erwärmen konnte, war mir da vor die Flinte geblättert. Allein: Der Rest der Welt kann es nicht. Verpasste Züge rasen davon, Abgabefristen auf mich zu (was glauben Sie, wann ich das hier schreibe?). Was also tun? Die Retro-Romantik verbietet mir freilich den Besitz eines Smartphones, mein Nokia-Knochen ist im Rucksack ganz unten … glaube ich. Aber: Ich besitze zwei Armbanduhren. Ein Festtagsmodell und ein lässiges, mit denen ich meiner Zeit voraus bin. Beide gehen zwei Minuten vor. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, aber austricksen kann man sie doch. Klobig ist dabei Trumpf, denn je exzentrischer die Uhr, desto häufiger ist man erfahrungsgemäß die Person, die gefragt wird, wie spät es ist. Und solcherlei Gesprächseinstiege helfen, wenn Zeit und Schwerkraft das Gesicht langsam unansehnlicher werden lassen.

Peter Henlein, du hast unser Leben ein Stück schlechter gemacht. Ab in die Wühlkiste der Geschichte mit dir! Nur um zu erklären, was der mit Uhren zu tun hat, hol ich ihn da kurz raus, dann aber bitte schnell wieder vergessen. Peter hat um 1511 zwei Federmechanismen so zusammen getüdelt, dass er tragbare Uhren auf Taschengröße verkleinern konnte. Durch diese Erfindung konnten nun alle immer und überall wissen, wie viel Uhr es ist, wie viel Zeit eine gewisse Sache gebraucht hat und am schlimmsten: um wie viel sich andere Menschen verspätet haben. Damit begann nicht nur die massive Kapitalisierung von Zeit, sondern auch furchtbare Gespräche darüber, wie lange etwas gedauert hat und vor allem um wie viel etwas zu lange gedauert hat. Vielversprechende Anwärter auf den Titel „deutscheste Gesprächsthemen“. Von der Tasche an den Arm war es dann nur noch ein kurzer, wenn auch folgenschwerer Weg. Das besonders nervige an Armbanduhren ist, dass sie anders als Taschenuhren oder Handys dauerhaft sichtbar sind. Nicht genug also, dass man sowieso jederzeit wissen kann, wie viel Uhr es ist, man muss es auch noch allen zeigen, die es nicht wissen wollen. Klingt für mich sehr nach den grauen Herren bei Momo. Abgesehen von alledem finde ich Armbanduhren einfach unfassbar hässlich.

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