Fake News und echte Haltung
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Der Mainzer Verein für politische Bildung „Wertzeug e. V.“ klärt mit seinem Programm „Exposed“ Auszubildende über Verschwörungsideologien auf.
von Julius Ferber
Eine Gruppe von Jugendlichen umringt auf dem Mainzer Gartenfeldplatz einen aufgebrachten Mann, der ein Demo-Schild in die Luft reckt. Der Slogan auf dem Schild prangert einen Großkonzern an. „Globalisierung und Künstliche Intelligenz sorgen dafür, dass massenweise Arbeitsplätze wegfallen. Und die da oben stecken dahinter!“, erklärt der Mann. Ein Passant steigt von seinem Fahrrad und erkundigt sich, was es mit der Versammlung auf sich habe. Der Demonstrant beeilt sich zu erklären und schnell wird deutlich: Er ist gar kein echter Demonstrant, sondern mimt ihn lediglich als Teil eines Projekts zur politischen Bildung. Enttäuscht radelt der ältere Herr davon.
Johann Esau bleibt zurück und wendet sich wieder den Auszubildenden zu, die heute beim Projekttag „Exposed“ teilnehmen. Das übergeordnete Thema des Tages sind Verschwörungs- Erzählungen und wie man solche entlarven (englisch: to expose) kann. Wichtig zu betonen, dass es eben keine „Verschwörungstheorien“ sind, da Theorien im Gegensatz zu den kruden geschlossenen Weltbildern einer Verschwörung die Möglichkeit beinhalten, sich als falsch herauszustellen. Auf einer Schnitzeljagd durch die Innenstadt gilt es für die Auszubildenden in Kleingruppen, Fotos zu schießen, kleine Rätsel zu lösen oder zu entscheiden, ob sie der fiktiven Gewerkschaft, für die Esau in seiner Rolle demonstriert, etwas von ihrem Spielgeld spenden wollen. Ihr Auftrag bei dem Stadtspiel: Ihren Kollegen zu finden, der vor kurzem ohne Vorankündigung verschwunden ist. Den Praxisteil reflektieren alle gemeinsam in einem Workshop mit dem Wertzeug-Team. Es geht um Diskriminierungsformen wie Antisemitismus und Rassismus, die Verschwörungsgläubige reproduzieren und darum, wie man Informationen überprüft und Fake News erkennt.
Esau, Vorsitzender von Wertzeug aus Mainz- Mombach hat das Projekt gemeinsam mit Janin Bassal und Princesha Salihi entwickelt. Der Verein für politische Bildung wurde 2016 von einer Gruppe um Johann Esau gegründet, die bereits zuvor in Extremismusprävention und politischer Bildung aktiv war. „Wir wollen mit zielgruppengerichteter und spannender politischer Bildung ein Angebot machen, das nicht alt und verkrustet ist. Etwas, das es von einem freien Träger aus der Mainzer Zivilgesellschaft so vorher noch nicht gab“, erläutert Esau den Ansatz. Mittlerweile arbeiten sechs Festangestellte bei dem 17 Mitglieder zählenden Verein. „Auch wenn wir natürlich einen professionellen Zugang zum Thema haben, machen wir unsere Arbeit aus Überzeugung und mit politischer Haltung. Wir wollen dafür sorgen, dass es weniger Nazis und mehr diskriminierungsfreie Räume gibt und eine stabile Demokratie fördern.“ Dazu führt der Verein Projekte in Schulen durch. Beim Planspiel „Alpakalypse“ landen die Teilnehmenden auf einer von Menschen verlassenen Insel und müssen die Regeln des Zusammenlebens neu aushandeln. „Dazu können uns Schulen einfach anfragen“, erklärt Esau. Außerdem wird politische Bildungsarbeit in rheinland-pfälzischen Gefängnissen angeboten. Diese Projekte zur Extremismusprävention seien vor allem deshalb sinnvoll, da die Haftzeit als persönliche Krise erlebt wird, die anfälliger für verschwörungsideologische Erklärungen komplexer Problemlagen mache.
„Exposed“ erhält Gelder von der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) im Rahmen von deren Förderprogramm „Aufsuchende politische Bildung für berufsaktive Zielgruppen“. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich der Aufschlag der BPB zu politischer Bildung im Arbeitskontext, der bisher vor allem von Gewerkschaften bespielt wurde. „Natürlich müssen Unternehmen wirtschaftlich handeln und es ist ein Minusgeschäft, Angestellte für politische Bildung während der Arbeitszeit abzustellen“, weist Esau auf die Problematik hin, interessierte Betriebe zu finden. „Unsere Kooperationspartner bilden aus, da gibt es noch eher Raum für einen Studientag, der über die fachliche Ausbildung hinausgeht.“
Im Herbst finden sechs Projekttage in Mainz und Wiesbaden statt. Auf die ersten beiden blickt Esau zufrieden zurück: „Ich wünsche mir, dass wir den Teilnehmenden einen Anstoß geben, über das Thema Fake News nachzudenken. Das haben wir bisher erreicht, auch das Feedback war sehr positiv.“ Das Team erhofft sich deshalb eine Weiterförderung, die die BPB sechs der bundesweit 15 Modellprojekte gewähren will. „Denkbar wäre dann, das Stadtspiel noch abwechslungsreicher zu gestalten oder das Projekt auf weitere Städte in der Umgebung auszuweiten.“
Weitere Infos zu den Projekten und zum Verein unter wertzeug.org