Verloren in den Zwanzigern
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Im Schwebezustand zwischen Bachelor und Master tut sich ein ungeahntes Portal auf. Das zum Erwachsenwerden. Jetzt aber wirklich.
von Princesha Salihi
Während man früher studierte und zusah, dass es möglichst lange dauerte, sitzt uns heute die Regelstudienzeit im Nacken. Möglichst schnell, möglichst viele Soziolog:innen auf den Arbeitsmarkt spülen, bitte. Dabei sind die Gründe für ein verlängertes Studium bekannt: Man versucht irgendwo zwischen Liebeskummer, Referaten und großen Ambitionen zu überleben. „Die körperliche und mentale Unversehrtheit wird nicht garantiert“, sollte im Kleingedruckten auf den Zulassungsbescheiden der Universitäten stehen. Außerdem kommen nicht alle aus Akademikerfamilien oder haben das Glück eines elterlichen Bedingungslosen Grundeinkommens – das zauberhafte Märchen vom Aufstieg liegt schon lange begraben. Dazwischen schiebt sich noch eine Pandemie.
Wenn ich mal nicht so wohlwollend mit mir bin, vergesse ich all das. Den Bachelor hätte ich schon etwas schneller abschließen können, denke ich dann. Die Beendigung des Grundstudiums zieht aber zwangsläufig die Beantwortung einer Frage nach sich. Nämlich: Was passiert danach? Falls man nicht gerade Lehrer oder Juristin wird, bleibt sie erschreckend lange unbeantwortet. Man hofft, dass sich schon etwas ergibt, dass man eines Tages von der Muse geküsst aufwacht, aber bitte so, dass man sehr schnell sehr erfolgreich, reich und sexy wird. Ich sitze mit meinem Freund am See als die Absage für meinen Wunschmaster kommt und muss getröstet werden. Die andere Option, für die ich mich beworben hatte, sollte nur eine backup-mäßige Absicherung sein. Jetzt ist also tatsächlich dieser Fall eingetreten. Ich wäge ab, erstelle Pround Kontra-Listen im Kopf, überlege mir Alternativen und berate mich mit Freund:innen. Während ich an meiner Entscheidung verzweifle, erreicht mich die Nachricht eines Freundes: „Gehe wahrscheinlich nach Berlin für Osteuropastudien was ich gar nicht studieren will.“
Auf Mamas Schoss kann man nicht mehr zurück. Man muss sich jetzt also diesen Erwachsenenproblemen stellen. Sich einen Lebensentwurf aus dem nicht vorhandenen Hut zaubern. Kein Mensch trägt mehr Hüte. Wie viel Karriere möchte man und zu welchem Preis? In der Geschichte, die wir uns über uns selbst erzählen, trennt uns von erfolgreichen, bekannten Persönlichkeiten eine bloße Zufälligkeit. Sie sind eben weiter zum Gitarrenunterricht gegangen oder haben sich für einen Poetry Slam angemeldet. Wir hätten das selbstverständlich auch schaffen können, aber jetzt, mit jedem Jahr, das vergeht, können wir es immer weniger. Inzwischen bewegen wir uns in Richtung Mittzwanziger und, ältere Personen mögen mir verzeihen, man sieht das Ende am fernen Horizont. Jede Entscheidung, die man jetzt trifft, fühlt sich lebensverändernd monumental und gleichzeitig, im Angesicht der Krisen dieser Zeit, völlig egal an. Während ich mir diese Gedanken mache, sitze ich in meinem überhitzten WG-Zimmer und höre Podcast-Stimmen von der Klimakatastrophe berichten. Studieren lohnt sich kaum, wenn in zehn Jahren der Planet implodiert, denke ich. Und wenn ich sehe, wie Babys von Hipstereltern durch die Mainzer Neustadt geschoben werden, möchte ich auch eins haben, aber dann wird diese Cute Agression durch den Wasserstand des Rheins vertrocknet.
Vielleicht ist es gut, sich seiner Endlichkeit bewusst zu werden, entgegen einer jugendlichen Unbekümmertheit, die wir – Boomern sei Dank – schon lange nicht mehr haben. Es hilft zumindest, die Ambivalenz aufzulösen, zwischen für Prestige, Erfolg und Geld hart arbeiten und lieber abends mit seinen Liebsten auf der Couch eine Serie anschauen wollen. Schöne Dinge unternehmen und mit Familie und Freund:innen beisammen sein, klingt wirklich bedeutend netter, als Überstunden machen, um den Chef zu beeindrucken. Die alte kitschige Leier vom Sterbebett eben, die selbstverständlich nur aufgeht, wenn man durch weniger Arbeit nicht vollständig verarmen würde. Aus München schreibt mir eine Freundin, die sich zwischen zwei Mastern oder viel mehr zwischen zwei Städten nicht entscheiden konnte: „Fühlt sich alles bisschen scary an, weil es alles so random ist, aber ich denke es wird schon gut werden!“ Ich möchte so sehr, dass sie Recht hat. Es wird schon gut werden. Ich würde gerne ein Apfelbäumchen pflanzen, aber wir müssen Wasser sparen.
Illustration: Leon Scheich