Comeback mit Hindernissen
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Comeback mit Hindernissen Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 20: Der Lachs
von Konstantin Mahlow
Das Verhältnis zwischen Tier und Mensch hat viele Facetten. Dass letzterer seine Umwelt invasiv ausbeutet und somit für das Verschwinden zahlloser Arten sorgt, ist die typischste Variante. Auch das STUZ-Gebiet beherbergte noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein eine wesentlich größere Artenvielfalt und eine viel höhere Individualdichte als heute. Im Mainzer Becken stampften bis ins Spätmittelalter riesige Auerochsen durch die Sümpfe, im Rhein schwammen meterlange Störe und an seinen Ufern lebten noch bis in die 1850er Jahre zahlreiche Spezies wie Fischotter und Biber. Sie alle wurden vom Menschen verdrängt und ausgerottet, sei es durch die Jagd oder, was noch häufiger vorkam, durch die Zerstörung ihres Lebensraums. Auch den Atlantischen Lachs, in der Region früher als Rheinsalm bekannt, ereilte dieses Schicksal – mit einem kleinem Unterschied: Im Gegensatz zu den genannten Arten besteht für ihn die Gefahr, sogar ein zweites Mal zu verschwinden.
Der Atlantische Lachs (Salmo salar) lebt den größten Teil seines Lebens im Ozean. Wachstum und Ernährung finden ausschließlich im Atlantik statt. Er ist ein geschickter Jäger und kann eine maximale Länge von 1,5 Metern erreichen. Als anadromer Wanderfisch zieht er im Spätherbst zum Laichen in größere Flüsse und von dort bis in die kleinsten Nebengewässer hinauf. Für die Eiablage in den Oberläufen benötigt er Kiesbänke und saubere Gewässer – Lebensräume, die im industrialisierten Mitteleuropa nicht gerade vor jeder Haustür liegen. Nach der Kinderstube im Süßwasser wandern sie zurück ins Meer. Im Rhein zogen die letzten Lachse 1950 bis zur Sieg hoch, danach war der Lachs verschwunden. Der Fluss war durch die Einleitung von Abwässern zu einer Kloake verkommen, zudem versperrten zahllose Hindernisse die alten Wanderrouten. 1987 wurde daraufhin von „Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins“ (IKSR) das aufsehenerregende „Lachs- 2000-Projekt“ gegründet. Ihr ambitioniertes Ziel: Die Wiedereinbürgerung des Atlantischen Lachses.
Der Rhein war nämlich nicht irgendein, sondern der Lachsfluss Europas. Geschätzt eine Million Tiere zogen jährlich stromaufwärts und ernährten zahllose Menschen. In manchen Fällen landete er sogar etwas zu oft auf dem Teller: Die Geschichte, dass Rheingauer Dienstmädchen einst dagegen protestierten, mehr als dreimal die Woche Lachs serviert zu bekommen, ist eine gern erzählte Anekdote. Ob sie auch wahr ist, ist allerdings völlig unklar. Was aber stimmt: Um 1900 wurden im Rhein noch sagenhafte 85.000 Tonnen Lachs gefangen. Eine solche Population wird es wohl nie wieder geben, womöglich aber eine, die groß und stabil genug ist, um sich selbst zu erhalten. Das ist das aktuelle Ziel der IKSR, die mittlerweile das Nachfolgeprojekt „Lachs-2020“ gestartet hat. Wanderhindernisse werden beseitigt, Fischpässe gebaut und hunderttausende Jungtiere aus Skandinavien in den Nebenflüssen des Rheins ausgesetzt. Seit der Jahrtausendwende schwimmen wieder adulte Lachse im Strom.
Doch das Ergebnis fällt trotz des kostenintensiven Aufwands ernüchternder aus als erhofft, schlimmer noch: Der Trend zeigt nach unten. Dass von den vielen Jungtieren nur ein Bruchteil zum Laichen wieder zurückkehrt, ist an sich normal. Doch scheint die Zahl der Rheinlachse in den letzten zehn Jahren insgesamt wieder gesunken zu sein. Nur ein paar Hundert Fische werden jährlich gezählt. Das große Ziel der IKSR, eine überlebensfähige Population zu schaffen, ist damit in weite Ferne gerückt. Die Gründe dafür sind zahlreich: Viele Tiere, vermutlich viel mehr als bisher geglaubt, verenden in Schiffsschrauben oder den Turbinen der Wasserkraftwerken. Diese Gefahr steigt erst recht, wenn der Flusspegel als Folge des Klimawandels niedriger ist als gewöhnlich. Auch ein wärmerer Rhein ist ein Problem, da sich der größte Fressfeind, der Wels, unter solchen Bedingungen stark vermehrt. Welse lauern oft gezielt an den Fischtreppen, um wandernde Lachse abzufangen. Hinzu kommt das relativ neue Problem des Schwarzfischens im niederländischen Rheindelta.
Lässt sich zusammenfassen: Der Lachs ist zwar wieder da, aber noch lange nicht angekommen. Der IKSR steht noch viel Arbeit bevor. Und so bleibt auch das stattliche Exemplar, das ein Angler vor vielen Jahren an der Mainzer Winterhafen-Mole fing, eher eine Ausnahme. Immerhin: Er schwor, den Lachs ganz nach den gesetzlichen Vorgaben wieder in den Rhein entlassen zu haben.
Foto: Hans-Petter Fjeld via Wikicommons