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Mainz

Mal mehr und mal weniger rechts

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Der AStA der Uni Mainz warnte in einer Mail vor Burschenschaften und Verbindungen bei der Wohnungssuche. STUZ erfährt von zwei ehemaligen Verbindungs-Mitgliedern, warum sie heute nicht mehr dabei sind.

von Princesha Salihi und Shayan Julien Miromayedi

Anfang Oktober letzten Jahres wies der AStA der Uni Mainz in einer Rundmail auf potenzielle Gefahren des Mainzer Wohnungsmarktes hin. Die günstigen Mietpreise in großen Häusern beschreiben sie als verlockend für junge Studenten, die oft nicht wissen, was hinter den Anzeigen steht. Es heißt darin, Verbindungen und Burschenschaften seien „mal mehr und mal weniger rechts“. Ein freundlicher Aufklärungservice des AStA oder Wiederholung von Klischees? Im schriftlichen Interview teilt uns die Rhenania-Moguntia zu Mainz (RM) mit, dass sie sich durch die Mail stigmatisiert fühlt. Sie wertet die Aussage als schlichte Polemisierung und fürchtet um ihren Nachwuchs, der sich nicht mehr unvoreingenommen ein eigenes Bild machen könne. Mit Luca und Niklas sprachen wir über ihre Erfahrungen in der Unitas Willigis Mainz (UWM). Luca, 39, ist Ethnologe, Historiker und Erziehungswissenschaftler und war dort eineinhalb Jahre Mitglied, trat letztes Jahr jedoch freiwillig aus. Niklas, 26, wohnte eineinhalb Jahre in der UWM und erzählt, warum er es heute nicht mehr tut.

Verbindung ist nicht gleich Verbindung

Studentenverbindungen sind Zusammenschlüsse von aktiven und ehemaligen Studierenden. Die häufigsten Verbindungsformen sind neben den katholischen Verbindungen, die Corps und Burschenschaften. Verbindungen richten sich nach ideellen oder religiösen Prinzipien und folgen dem Lebensbundprinzip. Aktive Mitglieder, Burschen genannt, werden nach dem Studium zu Alumni, „alte Herren“, und finanzieren die Verbindung mit. Einige Burschenschaften sind schlagende Verbindungen, tragen also Fechtkämpfe aus. Viele haben ein nach außen unpolitisches Selbstverständnis, traditionalistisch bis konservativ sind die allermeisten. Manche Verbindungen haben sich Frauen gegenüber geöffnet, die meisten sind jedoch männerbündisch organisiert. Die RM betont, dass zu ihren Mitgliedern auch People of Color gehören, das ist die Ausnahme. Luca erklärt, dass man nach dem Aufnahmeprozess „Fux“ wird. Er beschreibt es als Anwärterstatus, denn erst nach einem Jahr findet die „Burschung“ statt. Als Bursche lebe man als vollwertiges Mitglied „auf“ dem Haus, mit Stimmrecht auf den Versammlungen, den sogenannten Conventen. Burschenschaften sind in der Vergangenheit stark in die Kritik geraten. Luca kritisiert deshalb die Selbstbezeichnung seiner ehemaligen Verbindung. Offiziell ist die UWM ein wissenschaftlich katholischer Studenten- Verein im Unitas Verbund. „Mit dem Titel eines wissenschaftlichen Vereins verschleiern sie, dass sie im Grunde auch eine Burschenschaft sind. Als Mitglied ist man automatisch in diesem Burschenverhältnis mit drin und damit der Machtkonstellation des Hauses unterworfen“, erklärt Luca. Diese zeigten sich besonders auf Conventen, bei denen auch beraten werde, wer aufgenommen wird.

Ganz praktische Gründe

Niklas kam aus ganz praktischen Gründen zur UWM, er suchte ein WG-Zimmer auf WG-Gesucht. „Du weißt ja bestimmt selbst, wie schwer das ist in Mainz“, leitet er ein. „Der günstige Preis von 175 Euro war ein großer Anreiz“, berichtet er. Großen Gruppen gegenüber sei er nie abgeneigt gewesen, schlagende Verbindungen konnte er jedoch schnell für sich ausschließen. Neben den günstigen Mieten locken die Verbindungen mit ihren deutschlandweiten Kontakten. Luca erzählt: „Je mehr man sich engagiert, desto weiter steigt man innerhalb der Vereinsstrukturen auf. Man bleibt oft dabei, denn irgendjemand könnte dir irgendwann helfen – der Traum von der Elite schwingt immer mit“. Niklas schildert, dass bei der Burschung sehr streng beurteilt werde, wer das Haus nach außen repräsentieren könne. Die Prüfung nach seinem Jahr als Fux bestand Niklas zweimal knapp nicht, sein Prüfer habe wenig Kulanz gezeigt. Niklas entschied sich gegen eine dritte Prüfung: „Es ist immer noch Freizeit“, sagt er. Nach viel Hin und Her sei im Convent beraten und schließlich gegen seine Burschung gestimmt worden. Zu den vielen Freunden, die er dort kennenlernte, sei das Verhältnis auch nach seinem Auszug noch gut. Nur vereinzelt haben Personen gegen ihn gestimmt.

Nur cringe oder auch gefährlich?

Für Außenstehende stellt sich beim Blick in diese aus der Zeit gefallene Folklore aus altmodischen Umgangsformen, Rollenbildern und Kleidungsstilen häufig ein unangenehmes Gefühl ein. Über einen kurzen Cringe-Moment könnte man durchaus hinwegsehen. Eine Mitarbeiterin der Amadeus Antonio Stiftung (AAS) erklärt uns unter dem Pseudonym Milla Frühling, warum sie den Hinweis des AStA für notwendig hält. „Junge Männer werden in Strukturen eingeführt und radikalisiert, die eng mit Sozialchauvinismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit und völkischem Nationalismus verbunden sind und bei denen es nicht selten Kontakte in die radikale bis extreme Rechte gibt“. Sie betont, dass längst nicht alle Verbindungen faschistisch seien, jedoch könne man diejenigen, die dem Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) untergeordnet sind, klar als rechtsextrem einstufen. In Mainz ist die Germania Halle zu Mainz Teil dieses Verbands und wird vom AStA deshalb explizit in der Mail erwähnt. „In den Häusern rechtsextremer Verbindungen werden Veranstaltungen organisiert, die antisemitisches, rassistisches, und geschichtsrevisionistisches Gedankengut normalisieren“, erklärt Milla Frühling. In Burschenschaften kommen neben ideologischen auch personelle Überschneidungen mit der AfD häufig vor. Dr. Cynthia Möller vom Zentrum für Rechtsextremismusforschung weist uns auf Anfrage darauf hin, dass es dahingehend immer einer Einzelfallprüfung bedarf. „Es gibt Überschneidungen zwischen der Partei und Burschenschaften, aber nicht pauschal und bei jeder Verbindung.“

Die RM bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und erklärt, dass Mitglieder zu Engagement in Politik, Gesellschaft und Kirche aufrufen, jedoch ohne parteipolitische Präferenz. Außerdem schreibt sie an uns: „Wir pflegen keinen Kontakt zu Mitgliedern von Verbindungen, die dem [DB] angehören.“ Es bleibt an den Verbindungen, ihre Abgrenzung zu extremen Positionen, auch über Lippenbekenntnisse hinaus, deutlich zu machen.

Oder soll man es lassen?

Bei Verbindungen des DB wisse man meist schon vor Eintritt, worauf man sich einlasse, hebt Milla Frühling von der AAS hervor. Ist der Hinweis des AStA damit obsolet? Nicht ganz – sie weist darauf hin, dass auch unpolitische Verbindungen nicht unproblematisch seien. Finanzielle und institutionelle Abhängigkeiten sowie Erniedrigungen junger Füxe von älteren Burschen mit dem Versprechen auf politische und berufliche Aufstiegschance sieht sie als gewaltvoll und schädigend für die psychische und emotionale Entwicklung junger Menschen. Die vermittelte Ideologie stuft sie als reaktionär ein.

Lucas Erfahrung ist ähnlich: „Im Grunde genommen gucken die, inwieweit man so eine Art Abhängigkeitsverhältnis eingeht“. Sein familiärer Hintergrund, so sagt er, bewahrte ihn vor einer solchen Abhängigkeit. „Als Fux macht man innerhalb der festen Strukturen erstmal die Drecksarbeit“. Das sei notwendig, um zu sehen, wie gut die Anwärter funktionieren und gehorchen. „Wenn man sich mit einem Burschen nicht gut stellt, bekommt man vielleicht seine Stimme beim Convent nicht“, führt Luca aus. Als gegen die Aufnahme angehender Mitglieder gestimmt wurde, gab man ihm wegen des Conventgeheimnisses keine Auskunft. Diese Machtspiele waren für Luca der Grund für seinen Ausstieg aus der Verbindung. Er sah den Umgang mit den Mitgliedern im Widerspruch zu den christlichen Werten, die sie nach außen trägt.

Veränderung vielleicht?

Die vorherrschenden Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse seien durchaus wahrgenommen worden: „Wir haben das immer wieder diskutiert“, lobt Niklas. Veränderungen seien jedoch schwer umzusetzen. Diese Starrheit kostete Niklas seine Burschung.

Der Wunsch nach Veränderung klingt naiv, denn diese Strukturen sind schlicht systemimmanent. Sie sollen so bleiben, weil sie so bleiben müssen. Das Problem mit den Verbindungen liegt jedoch nicht nur bei ihnen selbst. Viele nachvollziehbare Bedürfnisse junger Menschen laufen in ein Vakuum, das gerne von Verbindungen gefüllt wird. Doch vielleicht sollte das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbindung nicht in isolierten Zeitkapseln gestillt werden. Vielleicht sollte Bildungs- und Karriereförderung in einer Demokratie nicht von elitären Gönnern abhängen, sondern von anderer Stelle geleistet werden. Und ganz vielleicht würde das Verbindungswesen in einer Gesellschaft, deren Wohnungsmarkt eine solche Notlage nicht erst hervorbringt, an Relevanz verlieren. Ganz ohne Veränderung geht es vorerst nicht aus: Luca bewegte seine Zeit in der Verbindung dazu, seine Mitgliedschaft auch in anderen fragwürdigen Vereinigungen zu überdenken. Er ist mittlerweile aus der Kirche ausgetreten.

Illustration: Nikolas Hönig

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