Die Leiden des jungen Julius
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Mit Anfang 20 kann ich mich für Herbert Grönemeyer begeistern, mein Umfeld eher weniger. Warum ich trotzdem zu ihm halte, lest ihr hier.
von Julius Ferber
Mein Vater und ich schreiten durch eine Unterführung und plötzlich stehen wir im ausverkauften Waldstadion. 40.000 Augenpaare sind auf die Bühne gerichtet und warten gespannt auf den Auftritt meines Helden. Als ich einer Freundin ein Foto der Menge schicke, macht sie sich einen Spaß daraus, es mir bearbeitet zurückzusenden. Sie hat auf die Kurve des Stadions gezoomt, die am weitesten entfernt liegt und eine Person rot umkreist. „Hier der eine andere unter 40“ steht darunter. Witzig. Man hat keinen leichten Stand als Person U25, die Herbert Grönemeyer und seine Musik gut findet.
Mambo im Wohnzimmer
„Bochum“ ist eins der ersten Alben, an die ich mich erinnere. Die alten CDs meines Vaters zu durchstöbern, bereitete mir große Freude. Ich weiß noch, wie ich als kleiner Junge zu dem Song „Mambo“, in dem Grönemeyer die Tücken des städtischen Autoverkehrs besingt, durchs Wohnzimmer getanzt bin.
Jahre Später, inzwischen Student, auf einer WG-Party in Mainz: Aus einer Laune heraus packe ich Grönemeyers Mambo „in die Warteschlange“. Kurz darauf beobachte ich mit einer Mischung aus Amüsement und Verwirrung, wie sich seine Wirkung auf den Gesichtern der Anwesenden entfaltet. Der packende Rhythmus, der ironische Text; wie selbstverständlich war ich davon ausgegangen, dass man sich dem nicht entziehen kann. Ehe ich mich versehe, wird der Song geskippt. Von wegen die 80er sind zurück, pah! Sofort aufgeben ist keine Option, aber auch meine folgenden Versuche, mein Umfeld den Klängen Grönemeyers auszusetzen, sind nicht von Erfolg gekrönt. Das höchste der Gefühle ist es, wenn die Musik kurz toleriert wird, Akzeptanz ist nicht drin.
Nach diesem einschneidenden Erlebnis höre ich aus einer Trotzhaltung heraus wieder mehr Musik von Grönemeyer und wenn überhaupt wächst meine Begeisterung weiter. Mit Freude empfange ich Ende 2018 das Album „Tumult“, auf dem Grönemeyer klar Stellung gegen rechts bezieht. Eine Haltung, die in der linksgrün-versifften Bubble, in der sich Studierende der Geisteswissenschaften gemeinhin bewegen, eigentlich resonieren müsste. Allein: Nichts passiert. An mir liegt es nicht, ich spreche wiederholt und eindringlich Empfehlungen aus!
Tierisch
Erklären, wer Herbert Grönemeyer ist, muss ich niemandem. Erklären, warum ich Herbert Grönemeyer mag, muss ich öfter mal: Geschätzte 17 Kilometer legt er auf der Bühne im Waldstadion zurück, durchschwitzt drei Outfits. Beeindruckend. Mit Anfang 60 will ich auch so fit sein. Obwohl er bei Auftritten gerne betont, er finde sich „tierisch“, wirkt er auf mich reflektiert und bescheiden. Es ist nicht leicht zu greifen, aber ich fühle mich in einer besonderen Form berührt von seiner Musik. Ich bin eitel genug, um an dieser Stelle hervorzuheben, dass ich des Englischen mächtig bin. Dennoch wirkt die Unmittelbarkeit und das Intuitive von Texten, die mich in meiner Muttersprache erreichen, direkter auf mich. Auch wenn alles gleich so kitschig oder beliebig wirkt, wenn es poiselt oder forstert. Ein gewisser Cringe-Faktor sei da gar nicht ausgeschlossen, aber ich wiege mich in der Sicherheit der emotionalen Durchlässigkeit eines emanzipierten Mannes von heute. Ich weine halt gerne beim Musikhören, was soll ich machen? Grönemeyer bildet mir dabei in seiner Selbstverständlichkeit, die er über die letzten dreißig Jahre bewahrt hat, ein eigenes Genre und ist über jeden Zweifel an seiner Authentizität erhaben. Böse Zungen behaupten zwar, er könne gar nicht singen und auch als eingefleischter Fan lässt sich nicht leugnen, dass es gelegentlich schwer ist, seinem staccato vorgetragenen und gepressten Gesang zu folgen. Grönemeyer selbst ist das aber egal. In einem Interview äußerte er vor einigen Jahren, dass es zum Nachlesen der Texte ja die den CDs beigelegten Booklets gebe. Eine erfrischende Haltung.
Ins Waldstadion komme ich gut vorbereitet, habe die Booklets auswendig gelernt und gröle mit den anwesenden Jörgs und Birgits bis zur Ekstase „es sind Geschichten, sie einen diese Welt“. Dass ich in meinem Freundeskreis dafür keine Verbündeten gewinnen werde, habe ich da schon längst akzeptiert und suhle mich genüsslich in der Rolle desjenigen mit dem exotischen Musikgeschmack. Nichts ist mehr Punk als Herbert Grönemeyer gut zu finden.
Foto: Antoine Melis