Widerstand dem Widerstand
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Jede Woche demonstrieren Bürger*innen, darunter Querdenker*innen, Impfgegner*innen, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker*innen gegen die Coronamaßnahmen. Seit Anfang des Jahres wächst der Gegenprotest. Ein Blick auf den Einsatz für die Demokratie.
von Greta Hüllmann
Ein trüber Montagabend, nach und nach versammeln sich Menschen mit Plakaten, Lichterketten, Warnwesten, Bannern und vereinzelten Musikboxen vor dem Landtag in Mainz. Manchmal sind es 50, mal bis zu 350, mittlerweile pendelt sich die Teilnehmendenzahl bei 250 ein. Bei den sogenannten „Schilderläufen“ wird gegen Coronamaßnahmen und die Impfung demonstriert. Viele halten bedruckte Schilder mit Aufschriften wie „Ich leiste Widerstand“, „Für eine Kindheit ohne Masken“ oder „Impfung Nein Danke“. Der Zug beginnt mit Elton Johns „I’m Still Standing“ gefolgt von Pink Floyds „Another Brick In The Wall“.
Zur selben Zeit am Dr. Günther-Storch-Platz gegenüber des Schon Schön, am Neubrunnenplatz und am Theater: Auch hier stehen erst ein paar vereinzelte Grüppchen, dann immer mehr Menschen zusammen. Die Masken sitzen auf der Nase, der Rest Mate wird ein paar Meter abseits getrunken. Auf selbstgebastelten Plakaten steht „Egoismus tötet Menschen“, „Wer mit Nazis spaziert, hat‘s nicht kapiert“, auf einigen wird zur Impfung aufgerufen. Als sich der Zug der Corona-Demonstrierenden langsam nähert, kommt Bewegung in die Menge. Etwa 20 Polizist*innen formen eine Reihe zwischen dem Schilderlauf und dem Gegenprotest. Während die Demonstrierenden vorbeimarschieren, sorgt die Gegendemo für ihre eigene akustische Untermalung: „Ihr seid nicht der Widerstand, geht mit Nazis Hand in Hand“ oder „Solidarität muss Praxis werden, ihr seid schuld, wenn Menschen sterben“.
Seit die wöchentlichen Proteste gegen Corona begonnen haben, gab es Widerstand von einzelnen Personen und Gruppen in Mainz, berichtet Anna (der Name wurde von der Redaktion geändert). Sie ist die Initiatorin und Sprecherin des Aktionszusammenschlusses, der den Gegenprotest organisiert. Den bisherigen Protesten habe es jedoch an Reichweite, Langzeitstrategien und einer gewissen Struktur gefehlt. Mittlerweile demonstrieren laut Angaben des Aktionszusammenschlusses häufig mehr Menschen gegen die Schilderläufe als dafür, womit eines der Ziele der Proteste erreicht ist. Der Zusammenschluss will deutlich machen, dass es Gegenpositionen zu den verschwörungsideologischen Inhalten des Schilderlaufs gibt und diese nicht die Mehrheit der Gesellschaft darstellen.
Im Gegensatz zu vielen Querdenken-Demos in kleineren rheinhessischen Kommunen seien die Demonstrationen angemeldet und Auflagen wie die Maskenpflicht und Abstandsregelungen werden eingehalten, teilt der Oberbürgermeister Michael Ebling auf Anfrage mit. Er betont, dass eine Demokratie vielfältige Meinungsäußerungen aushalten müsse. „Dass ich einen deutlich anderen Blickwinkel auf das Corona-Geschehen habe, ist bekannt, dennoch gilt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch für Andersdenkende, sofern die essentiellen Spielregeln eingehalten werden.“ Problematisch an den Protesten ist demnach die Haltungen der Demonstrierenden. Der Aktionszusammenschluss sieht hier eine große Gefahr von extrem rechten, antiaufklärerischen sowie antidemokratischen Elementen. „Von rechten Kampfsportlern, die versuchen Gegendemonstrierende einzuschüchtern, über Bedrohung von Politiker*innen bis zu antisemitischen Inhalten, die unwidersprochen in Telegramgruppen geteilt werden, wird klar, dass nicht der demokratische Diskurs und eine ernstgemeinte Kritik im Mittelpunkt stehen. Stattdessen passiert ein Angriff auf demokratische Grundwerte auf dem Rücken verunsicherter Bürger*innen“, kritisiert Anna. Auch Ebling sieht hier die grundlegende Problematik, der Meinungsaustausch sei zum Erliegen gekommen: „Unter dem Strich entfernen sich Teile der Gesellschaft in diesen Corona-Zeiten – gezielt auch befeuert durch rechte und rechtsextreme Strömungen – aus dem rationalen Diskurs.“ So wichtig Kritik an bestimmten Corona-Maßnahmen auch sei, wer sich den Schilderläufen anschließe, treffe eine Entscheidung. Ebling fordert daher, dass Kritiker*innen der Coronamaßnahmen immer schauen müssen, wer neben ihnen läuft, denn eines ist für den OB klar: „Mit Rechtsextremen demonstriert man nicht Seite an Seite.“