„JGU hör zu!“
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Am 25. November wurde auf dem Mainzer Universitätscampus gegen patriarchale Gewalt demonstriert. Studierende kritisierten unter anderem den Umgang der Universität mit Betroffenen.
von Greta Hüllmann
„Solidarität mit Betroffenen! Konsequenzen für Täter*innen!“. In orangefarbener Schrift auf lilafarbenem Hintergrund prangt diese Plakat-Botschaft auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Übersehen kann man sie kaum, zu deutlich sind die Worte, zu schrill die Farbpalette. Anlass gab die Demonstration zum 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen. Demonstriert wurde dabei weder am Hauptbahnhof noch am Rhein, sondern an einem Ort, den viele nicht mit patriarchaler Gewalt verbinden: dem Campus der JGU.
Als wissenschaftliche Institution würden Hochschulen häufig als diskriminierungsfreie Räume imaginiert, stellen Hannah-Sophie Schüz und ihre Kolleg*innen in ihrem Aufsatz zum universitären Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt fest. Dies sei aber nicht die Realität, teilt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit. Übergriffe seien eine „erschreckend normale Erfahrung an deutschen Hochschulen, insbesondere für Frauen und LSBTI*-Personen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transpersonen und Intersexuelle), aber auch für Männer, denen Unmännlichkeit oder Homosexualität zugeschrieben werden“. Das bestätigte eine Studie der Universität Bochum aus dem Jahr 2012. Laut Studie erlebten 54,7 Prozent der Studentinnen an deutschen Hochschulen sexualisierte Diskriminierung. 22, 8 Prozent Stalking und 3,3 Prozent sexualisierte Gewalt im strafrechtlichen Verständnis. Dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt, wird vermutet. Schüz weist daher auf ein Spannungsfeld hin. Es gebe einerseits die Vorstellung der Universität als „Ort der vermeintlichen Gleichberechtigung“ und andererseits die Realität sexueller Belästigung, die über die Hälfte der Studentinnen an exakt diesem Ort erfahren.
Das Spannungsfeld ist auch an der JGU sichtbar. So gibt es seit 2013 eine Richtlinie zum Umgang mit sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt. Der Präsident der JGU Georg Krausch gab außerdem auf Nachfrage der STUZ an, dass die Universität sexualisierte Gewalt und Belästigung sowohl „präventiv als auch situationsbezogen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft“. Eine andere Realität erlebte jedoch eine betroffene Studentin an der JGU, die anonym bleiben möchte.
Wie aus einer Stellungnahme des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) hervorgeht, wurde die Betroffene von einem Kommilitonen sexuell belästigt und wendete sich daraufhin an die Universität. Entgegen den Wünschen der Betroffenen gab es keine Konsequenzen für den Täter, da Beweise fehlten. „Als Betroffene von sexualisierter Gewalt läuft man ständig gegen Wände. Wir leben in einer Welt, in der weggeschaut wird“, schilderte die betroffene Studentin der STUZ. Der Präsident Krausch gab auf STUZ-Nachfrage an, Hilfe angeboten und hochschulrechtliche Konsequenzen geprüft zu haben. Das AlleFlinta* Referat (AFR) des AStAs widersprach dieser Darstellung jedoch. Es gebe kein Vertrauen in die Universitätsleitung, dass Überlebende gehört werden, teilte das AFR in der Stellungnahme mit. So sei die Betroffene gezwungen gewesen, dem Täter weiterhin in Seminaren und auf Exkursionen zu begegnen. Die Forderungen nach einer Exmatrikulation oder ein Ausschluss von Seminaren blieben unbeachtet. „Ich möchte in einer Welt leben, in der Gesellschaft und Autoritäten versuchter Vergewaltigung, Vergewaltigung und jeder anderen Form von sexualisierter Gewalt entschieden entgegentreten“, forderte die Betroffene.
Das klare Bekenntnis der JGU, Überlebenden sexualisierter Gewalt zu glauben und abseits von Richtlinien auch zu handeln fehlt jetzt, fast zwei Jahre nach dem Vorfall, noch immer. Auch Schüz und ihre Kolleg*innen kritisieren, dass die „öffentliche Benennung des Problems als dessen Lösung verstanden wird“. Dies verhindere vielmehr konkrete Maßnahmen, also ein Handeln jenseits einer Benennung in Dokumenten, Richtlinien oder Verfahrenswegen. Genau diese konkreten Maßnahmen brauche die JGU allerdings, hieß es in den Redebeiträgen der Demonstration. „Wir brauchen eine auf sexualisierte Gewalt und Diskriminierung spezialisierte, universitäre Anlaufstelle an der JGU.“, forderte das Feministische Kollektiv. Es brauche einen intersektionalen Blickwinkel, der sexualisierte Gewalt gegen FLINTA* und von anderen Diskriminierungsformen betroffene Menschen fokussiert. Und es brauche Konsequenzen für Täter*innen, die tatsächlich zeigen, dass die JGU sexuelle Belästigung und Gewalt nicht duldet, so die Redner*innen. Wie die JGU auf die Demonstration und Forderungen reagieren wird, bleibt abzuwarten.