Die besten Pommes der Welt
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Etwa 2.000 Kinder und Jugendliche erkranken deutschlandweit jedes Jahr an Krebs. Die Kinderonkologie der Mainzer Unimedizin behandelt die jungen Patienten und wird dabei vom Förderverein Tumor- und Leukämiekranker Kinder unterstützt. Was das im Alltag bedeutet, zeigen wir am Beispiel von Maximilian, der im Frühsommer an Leukämie erkrankt ist.
An einem Montag geht es los, an der Bushaltestelle. Plötzlich kann Maximilian nichts mehr hören, kaum noch sehen. Die Kräfte verlassen ihn. Er schleppt sich nach Hause, hangelt sich von Auto zu Auto. Der Hausarzt überweist ihn in die Diakonie nach Bad Kreuznach, von dort schickt man den Jugendlichen, einen begeisterten Tischtennisspieler, zu dem die Symptome so gar nicht passen wollen, in die Mainzer Unimedizin. Dort lautet der Verdacht: Leukämie. Schon am nächsten Tag steht die Diagnose. Maximilians Knochenmark ist vom Krebs befallen. „Das zieht einem den Boden unter den Füßen weg“, erinnert sich Mutter Raphaela.
Kaum am Leben und schon wieder sterben müssen
Nach der Diagnose geht es nahtlos über in die Therapie. Mit einem Mal kippt das Leben der Familie ins Ungewisse. Maximilian bekommt Chemotherapie, muss nach Mainz auf Station. In der Unimedizin arbeiten Spezialisten aus den verschiedenen Fachabteilungen unter dem Dach des Universitären Centrums für Tumorerkrankungen interdisziplinär zusammen, um für seine Patienten „die bestmögliche heute verfügbare Therapie anbieten zu können“, so die Selbstdarstellung. Patienten kommen aus ganz Deutschland, mitunter sogar aus Russland und dem arabischen Raum.
Damit seine Eltern bei ihm sein können, ohne ständig zwischen Mainz und ihrem Heimatdorf bei Bad Kreuznach pendeln zu müssen, beziehen sie für die Zeit der Chemotherapie ein Appartement im Elternhaus des Fördervereins Tumor- und Leukämiekranker Kinder Mainz e.V. Es liegt am unteren Ende des Unimedizingeländes, der Fußweg von hier zur Station beträgt nur ein paar Minuten. „Ein absoluter Glücksgriff, dieses Grundstück bekommen zu haben“, schwärmt Annette Spohn-Hofmann. Sie ist für die Öffentlichkeitsarbeit beim Förderverein zuständig und berichtet, wie der ursprüngliche Käufer absprang, wie man daraufhin mit Spendengeldern den Kauf finanzierte und auch noch eine „Super-Architektin“ für die Planung bekam und dass, wenn einmal alle sechs Appartements belegt seien, man vom unweit gelegenen Novotel kostenlos Zimmer gestellt bekomme. Mit Geld- und Sachspenden sorgt der Verein dafür, dass Kindern und Eltern das Unfassbare ein wenig erträglicher gemacht werden kann. Das reicht von medizinischem Gerät und Vollzeitstellen auf Station, die der Verein finanziert, bis zum Massagestuhl im Entspannungsraum des Elternhauses.
Maximilian findet den Massagestuhl „nicht so toll“, sein Vater Frank schon. Entspannung ist in schweren Zeiten wichtig. „Am Anfang hat man weiche Knie“, sagt der 47-Jährige über den ersten Aufenthalt im Elternhaus. Doch man finde sehr schnell Anschluss, denn alle seien ja aus demselben Grund dort. Der Förderverein steht vom Tag der Diagnose an den Kindern und Familien zur Seite. Die Aufenthalte auf der Station und im Elternhaus werden schnell zu Alltäglichem. Morgens wird Maximilian durchgecheckt: Gewicht, Blutdruck. Dann Körperpflege, danach Fernsehen oder Musik hören bis 12 Uhr. Dann kommt Mutter Raphaela und kocht etwas in der vom Mainzer Starkoch Frank Buchholz geplanten und mitfinanzierten Elternküche auf Station. Nachmittags wird sie vom Vater abgelöst, der im Elternhaus übernachtet. Maximilians Alltag sollte eigentlich der eines Azubis sein, Mechatroniker. Durch die Diagnose ist alles anders gekommen. „Ich hab’s erst nicht realisiert“, sagt er rückblickend. „Man wird nie eine Antwort bekommen, warum es ausgerechnet einen selbst trifft. Mit Gott will ich bis auf weiteres jedenfalls nichts zu tun haben.“ Maximilian ist allerdings kein schwermütiger Mensch. Er ist bekannt dafür, immer einen Spruch parat zu haben. „Jetzt geht man durch Dick und Dünn, vorher war’s nur dünn“, sagt er etwa über das Verhältnis zu seinen Eltern, das seit der Diagnose inniger geworden ist. Seine Freundin Annika, mit der er während seiner Erkrankung zusammen kam, hat ihm viel Kraft gegeben, „ein guter Fang“, sagt Maximilian. Auf Station ist er als Ältester Vorbild für die Jüngeren. „Da sind Kinder, die leben kaum und müssen schon wieder sterben. Dagegen ist meine Krankheit nichts“, reflektiert er. Man bekommt eine vage Ahnung, was an Verzweiflung, Schmerz und Fassungslosigkeit in den Räumen der Kinderkrebsstation und dem Elternhaus des Fördervereins erfahren wird.
Doch es gibt ebenso viele fröhliche und glückliche Momente, zum Beispiel den Pommesabend, wenn Eltern kochen und Kai Leimig, Vorsitzender des Fördervereins, seine Pommesmaschine anwirft – „die besten Pommes der Welt“, wie Maximilian sagt. Oder wenn eine Schwester ihm die „Goldene Ente“ verleiht, weil er es geschafft hat, die Grenzen einer Urinflasche zu sprengen. Maximilians Eltern haben ein Fotoalbum angelegt und dokumentieren, was ihr Familienleben seit dem Frühsommer bestimmt. Darin sind Fotos von Maximilians Geburtstagsparty im Krankenhaus, Bilder von ihm und seinen Lieblingskrankenschwestern, auch ein Bild mit der Schwester, die er nicht so mag; Bilder vom gemeinsamen Essen auf Station. Natürlich wird auch der Journalistenbesuch festgehalten. „Die Zeit wird immer ein Teil von uns bleiben“, sagt Maximilians Vater.
Psychologin, Ferienanlage – alles spendenfinanziert
Auch beim Förderverein weiß man, dass eine Zeit in Krebstherapie – gleich, wie sie endet – für Eltern, Kinder und Geschwister nie wirklich vorbei ist. Im Garten des Elternhauses liegen, flankiert von Grablichtern, sogenannte Erinnerungsplatten. Sie werden von Eltern, die ihr Kind verloren haben, in der Kunsttherapie gefertigt – Trauerbewältigung. Dasselbe Angebot gibt es für Geschwisterkinder. „Die Kunsttherapeutin hilft, den Tod zu verarbeiten, ohne ihn direkt anzusprechen“, erklärt Spohn-Hofmann das Konzept. Etwa werden bunte Kisten gebastelt: Schatzkisten, in denen Erinnerungsstücke an das verstorbene Kind aufbewahrt werden können. Bilder werden gemalt, wie die Kinder sich den Himmel vorstellen. Der Förderverein bezahlt die Kunsttherapeutin, genauso wie er eine Vollzeit-Pflegekraft, eine Psychologin und eine Erzieherin in Vollzeit und noch weitere Teilzeitkräfte, etwa den Musikpädagogen, bezahlt. Dazu kommen weitere psychosoziale Mitarbeiter, die die Familien vom Tag der Diagnose an über den gesamten langen Zeitraum der Therapie bis hinein in die Nachsorge begleiten. Auch im Trauerfall steht den betroffenen Familien eine ausgebildete Trauerbegleiterin, selbst betroffene Mutter, zur Verfügung. Allein die Personalkosten liegen im sechsstelligen Bereich – spendenfinanziert. Hinzu kommen der Unterhalt des Elternhauses sowie einer Ferienanlage im Hunsrück – spendenfinanziert. Ein Ausflug mit den krebskranken Kindern zum „König der Löwen“-Musical nach Hamburg – spendenfinanziert. 11,1 Millionen Euro hat der Förderverein in dreißig Jahren Bestehen allein in die Kinderkrebsstation investiert. Das sind 370.000 Euro jährlich. Nicht inbegriffen sind in dieser Summe das Elternhaus und die Ferienanlage. Der Leiter des kinderonkologischen Zentrums des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mainz, Univ.-Prof. Dr. Jörg Faber, formuliert es so: „Ohne den Förderverein wäre die kinderonkologische Abteilung nicht das, was sie heute ist.“ Das Engagement des Vereins trage mit dazu bei, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen eine Atmosphäre vorfinden, in der sie sich wohlfühlen. „Wir sind dem Förderverein für die nachhaltige und engagierte Unterstützung außerordentlich dankbar.“ Kaum auszumalen, was wäre, gäbe es diesen Verein und all die Geld- und Sachspender nicht.
Dabei bewegen sich spendenfinanzierte Projekte und Vereine auf einem heiß umkämpften Markt. Vor einer Weile eröffnete ein Elternhaus der McDonalds-Kinderhilfe in Mainz. Nun ist es nicht so, dass der Milliardenkonzern den Unterhalt des Hauses aus der Unternehmenskasse finanzieren würde, sondern Spendengelder akquiriert (siehe auch STUZ Nr. 163: Im Zeichen des goldenen M). Beim Förderverein bangt man jedes Jahr, ob das erforderliche Spendenaufkommen zustande kommt. „Aber nach dreißig Jahren bauen wir auf das Vertrauen, dass uns vielerorts entgegen gebracht wird und hoffen, dass die wichtige Unterstützung der Betroffenen und die zahlreichen Hilfsprojekte auch in Zukunft weiter geführt werden können“, so Spohn-Hofmann. Auch mit Förderanträgen bei verschiedenen Unternehmen und Stiftungen bewirbt sich der Förderverein immer wieder. Diese entscheiden oft projektbezogen, unterstützen allerdings selten Personalkosten. Neben der Unsicherheit, wie viel an Spendenmitteln letztlich jedes Jahr eingenommen wird, tut das derzeit extrem niedrige Zinsniveau sein übriges. Angelegtes Geld bringt kaum etwas ein.
Bald wieder Party und Fastnacht
Maximilians Therapie verläuft gut. 240 Tage dauert die stationäre Behandlung, es folgt ein Jahr mit Chemotabletten und Kontrollen. Als feststand, dass sein Knochenmark nicht mehr befallen ist, freuten sich seine Eltern „wie Kinder, die zum ersten Mal Schokolade bekommen“, erinnert er sich. Er selbst habe sich nicht so gefreut, denn: „Ich wusste ja, ich schaffe das.“ Dennoch ist vieles nicht mehr, wie es vor der Diagnose einmal gewesen ist. Es gibt Bekannte der Familie oder einst gute Freunde Maximilians, die auf Distanz gegangen sind. Dagegen gibt es einige Bekannte, die die Familie extrem unterstützen, von denen man es nie vermutet hätte. Dafür hat er auf Station neue Freunde gewonnen, ebenso wie seine Eltern. Die Familie vermutet, dass die, die den Kontakt abgebrochen haben, mit der Krebsdiagnose nicht umgehen konnten, nicht wussten, wie sie Maximilian und seinen Eltern gegenübertreten sollten. „Ich will kein Mitleid“, lautet Maximilians einfache Ansage. Er hat gelesen, dass bald jeder dritte Mann statistisch gesehen irgendwann an Krebs erkranken wird. „Was geht dann ab, wenn sich die Leute von den Kranken abwenden?“ fragt er sich. Leukämie kann jeden treffen, auch Menschen, die keinen starken familiären Rückhalt haben oder einen Partner, der zu einem steht. Er selbst nehme Dinge heute anders wahr, oft gelassener, was auch für seine Familie gilt. Ein runtergefallenes Glas, eine Schramme am Auto – geschenkt. Maximilian hofft, dass die Leukämie die schlimmste Erfahrung in seinem Leben bleibt. Seinen Ausbildungsplatz hat er zum Glück noch immer und kann loslegen, sobald er wieder gesund ist. Dann will der begeisterte Fastnachtsnarr auch an Fasching wieder in seinem Heimatort auf der Bühne stehen. Doch vorher, freut sich Maximilian, „werden wir ne fette Party geben, wenn die stationäre Zeit vorbei ist.“
Geld spenden
Mehr Informationen gibt es unter www.krebskrankekinder-mainz.de
Der Förderverein ist für jede Spende dankbar.
Spendenkonto: Sparkasse Mainz
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