Früher war alles bunter
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Es war schon bunter auf den Mainzer Straßen. Doch auf die farbliche Monotonie folgt ein erneutes Farbenspiel. Die Rede ist nicht vom Farbwechsel der Bäume zur Herbstzeit, sondern von den auffällig gekleideten Radfahrer*innen mit großen Rücksäcken.
von Jonas Julino
Die Farben Türkis, Orange und Pink waren noch vor gar nicht allzu langer Zeit häufig auf den Straßen zu sehen. Mit quadratischen Rücksäcken und ihren knalligen Farben fuhren Fahrradkurrier*innen, sogenannte Rider*innen, Essen von Restaurants zu hungrigen Menschen nach Hause. Nach und nach verschwand das Türkis von Deliveroo und das Pink von Foodora allerdings aus dem Straßenbild und wurde durch das Orange von Lieferando ersetzt.
Heute dominiert das international agierende Unternehmen „Just Eat Takeaway“, gleichzeitig Mutterkonzern vom deutschen Ableger Lieferando, den Markt. Spätestens seit der Übernahme des Konkurrenten Foodora Anfang 2019 und dem kurze Zeit später erfolgten Rückzug Deliveroos aus Deutschland, ist Lieferando nahezu Konkurrenzlos. Auch die Bestellportale pizza.de und Lieferheld schluckte das gefräßige Unternehmen.
Liefern am Limit
Die Monopolstellung des Unternehmens sorgt vor allem bei den Beschäftigten für Probleme. Der Job ist an sich schon kein einfacher. Bei Wind und Wetter müssen Rider*innen schnell von A nach B kommen – egal ob es draußen stürmt oder die Hitzewelle das Radfahren eigentlich unmöglich macht. Blöd, wenn nicht nur Gegenwind vom Wetter kommt, sondern auch vom Arbeitgeber. Immer wieder fallen die großen Lieferservices negativ auf. Im Frühjahr 2018 gründeten bei Deliveroo angestellte Rider*innen die Initiative „Liefern am Limit“ um auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Damals protestierten sie im Rahmen der Betriebsratswahlen für bessere Arbeitnehmer*innenrechte. Der Geschäftsführung war das ein Dorn im Auge und ließ die allesamt auf sechs Monate befristeten Verträge nach und nach auslaufen und entledigte sich so kritischen Stimmen.
Heute arbeitet „Liefern am Limit“ eng mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zusammen und kämpft nach dem Rückzug Deliveroos aus Deutschland für bessere Arbeitsbedingungen bei Lieferando. Kein einfaches Unterfangen, weiß Orry Mittenmeyer. „Nahezu alle Verträge sind auf sechs Monate befristet“, berichtet der ehemalige Rider und Mitbegründer von „Leben am Limit“. Auch seien nicht alle Fahrer mit firmeneigenen Bikes ausgestattet, sondern fahren mit privaten Rädern durch die Gegend. „Auch Handys müssen selbst gestellt werden und die von Lieferando zur Verfügung gestellten Klamotten sind nicht wirklich tauglich. Funktionsklamotten muss sich jede*r Rider*in auch selbst zulegen. So untergräbt das Unternehmen deutlich den Mindestlohn, berücksichtigt man die Kosten, die auf die Rider*innen zu kommen“, so Mittenmeyer.
Auch die Themen Überwachung und Transparenz sind häufig geäußerte Kritikpunkte. „Es erfolgt eine Zentralüberwachung der Rider*innen über ihr Handy“, berichtet Mittenmeyer. Die Rider*innen würden alle 15 Sekunden getrackt, die verwendete App fragt viele Daten der Rider*innen ab. „Auch viele Daten der Kunden werden abgefragt. Was mit diesen Daten passiert ist nicht klar. Lieferando bietet keinerlei Transparenz.“
Mainzer Alternative
Nicht nur Mitarbeiter*innen leiden unter der Firmenpolitik. Auch die kooperierenden Imbisse und Restaurants müssen in den sauren Apfel beißen. Wer sein Essen selbst ausliefert, aber die Bestellfunktion von Lieferando nutzt, muss 13 Prozent aller Umsätze, die über Lieferando gemacht werden, an das Unternehmen abdrücken. Wer die Rider*innen für die Auslieferung in Anspruch nimmt, zahlt nochmal drauf. 30 Prozent kassiert Lieferando für den Service. Für kleine, private Betriebe keine gute Rechnung. Bei einer 10 Euro Pizza bleiben abzüglich Mehrwertsteuer dann nur noch gut 5 Euro. Die müssen dann den Warenwert, Personal- und Betriebskosten decken. Am Ende bleibt häufig nur ein kleiner Betrag hängen.
Dass es auch anders geht, zeigen junge Mainzer*innen. Seit Anfang März, kurz nach dem Lockdown, liefert das Start-up „Mainz liefert“ Essen verschiedener Restaurants aus. „Anfangs haben wir das kostenlos gemacht. Wir wollten den Gastronomen in dieser schweren Zeit helfen“, berichtet Adrian Koch. Zu Beginn sei es nicht die Intension gewesen, einen Lieferdienst aufzubauen oder eine Konkurrenz für Lieferando zu sein, so der Mitbegründer. Das Konzept wurde allerdings gut angenommen und nun kooperiert Mainz liefert mit über 40 Restaurants im Stadtgebiet. Das von Studenten gegründete Start-up beschäftigt heute gut 40 Rider*innen und hat bislang über 10.000 Bestellungen ausgeliefert. „Die Restaurants konnten so insgesamt eine halbe Million Euro erwirtschaften“, resümiert Koch. Vom Geld bleibt dann auch mehr bei den Restaurants. Die Gebühren bei Mainz liefert sollen „deutlich geringer“ als bei Lieferando sein.
In Mainz könnte das Lieferando-Monopol also bald Geschichte sein. Unter das gängige Orange mischt sich nun auch das Blau von Mainz liefert. Die Mainzer*innen mögen‘s eben bunt.