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Die Rückkehr der Dickschnäbel

Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 52: Graugans und Verwandte

Von Konstantin Mahlow

Wir leben, theoretisch, in einem kleinen Paradies: Der Inselrhein genannte Flussabschnitt zwischen Mainz und Bingen mit seinen Restbeständen an Auenwäldern, Wiesen und Sümpfen wird von euphorischen Naturfreuden nicht umsonst das „Amazonien Deutschlands“ genannt – auch wenn heute kaum fünf Prozent der ursprünglichen Flächen erhalten geblieben sind und auch diese Relikte gefährdet sind. Die Region ist nicht nur der Lebensraum für invasive Jachtbesitzer, die im Sommer mit Abstand am einfachsten zu beobachten sind, sondern vor allem einer ganzen Bandbreite an Wasservögeln: Schwarzmilan, Weißstorch, Grau- und Silberreiher, Eisvogel, Kormoran, Höckerschwan und Stockente wurden allesamt in dieser Kolumne bereits vorgestellt. Sie eint ihre perfekte Anpassung an ihre aquatische Heimat. Seit zwei Jahrzehnten ist auch eine weitere Gruppe solcher Spezialisten im Inselrhein auf dem Vormarsch: Gänse.

Tatsächlich gab es hier vor knapp 20 Jahren noch so gut wie keine Gänse, heute kommen mehrere heimische wie eingeführte Arten ganzjährig vor. Die gestiegene Wasserqualität und das dadurch höhere Nahrungsangebot dürften zwei der Gründe dafür sein. Von Mainz aus gesehen steigt ihre Zahl entlang des Mombacher Rheinufers über Budenheim und Heidenfahrt. Der auch gerne in Innenstädten auftauchenden Nilgans (Alopochen aegyptica), deren hiesige Bestände aus niederländischen Zooanlagen abstammen, haben wir bereits einen Artikel gewidmet. Von allen Vertretern der Gänse sind sie wohl die unbeliebtesten, da sie täglich bis zu unfassbare 1,5 Kilo Kot bevorzugt auf städtischen Parkanalgen und Schwimmbadwiesen verteilen. Die meisten anderen Arten leben wesentlich zurückgezogener und verhalten sich scheuer gegenüber Menschen. Das gilt insbesondere für die heimische Graugans (Anser anser). Im STUZ-Gebiet leben zwei Gruppen, eine kleinere, einheimische Population, die hier brütet, und eine größere von bis zu 5000 Vögeln aus Nordeuropa, die am Rhein überwintern.

Graugänse sind besonders häufig auf den umliegenden Wiesen und Feldern in Wassernähe zu beobachten, die die überzeugten Veganer zur Nahrungssuche aufsuchen – beispielsweise auf der Petersaue von der Eisenbahnbrücke aus. Zu ihren typischen Merkmalen zählen die bräunlichen Zeichnungen am Rücken, die graue Bauchseite und der kräftige, orangefarben bis leicht rosa wirkende Schnabel. Bekannt sind Graugänse auch für ihre auffälligen V-Formationen, die während der Zugzeit regelmäßig am Himmel zu sehen sind. Kaum zu sehen sind sie dagegen während der Brutzeit im April. Dann bauen die Weibchen eine Nestmulde im Boden und legen dort vier bis sechs Eier, die Küken schlüpfen etwa einen Monat später. In dieser Zeit sollten Spaziergänger mit Hunden besonders aufpassen und ihre Vierbeiner lieber nicht von der Leine lassen. Doch auch die Gänse passen genau auf: Wird eine Person gesichtet, warnt eine Gans den ganzen Trupp, die den Eindringling daraufhin skeptisch anstarren, bis er wieder weitergezogen ist.

Im Winter taucht, wenn auch selten, eine weitere heimische Gänseart auf: die Blässgans (Anser albifrons) unterscheidet sich von der Graugans vor allem durch die weiße, namensgebende Blässe an der Stirn. Viel häufiger ist am Inselrhein mittlerweile aber eine Verwandte aus Nordamerika: die Kanadagans (Branta canadensis). Sie wurde im 20. Jahrhundert von Menschen mutwillig nach Mitteleuropa gebracht, konnte aber wie die Nilgans aus Zooanlagen fliehen. Heute sind Kanadagänse häufig und ganzjährig zu sehende Brutvögel in der Region. Ihr schwarzer Hals und Kopf gepaart mit dem weißen Kehlfleck machen sie unverwechselbar. Kanadagänse sind mit einer Flügelspannweite von bis zu 1,75 Metern und einem Maximalgewicht von 5,5 Kilo noch etwas größer als die Graugänse und damit insgesamt die größten wildlebenden Gänse, die in der europäischen Wildbahn vorkommen.

All diese vier Arten sind mit etwas Glück auf einem Ausflug in die Auen zu sehen. Eine absolute Ausnahme ist dagegen die Sichtung einer Nonnen- oder Weißwangengans (Branta leucopsis). Sie sind den Kanadagänsen sehr ähnlich und brüten in den arktischen Tundra-Landschaften des hohen Nordens. Am Rhein sind sie äußerst seltene Wintergäste und Durchzügler. Aber wenn man sich überlegt, dass es vor nicht allzu vielen Jahren noch überhaupt keine Gänse am Inselrhein gab, ändert sich das vielleicht auch irgendwann einmal.

Foto: H005, Public domain, via Wikimedia Commons

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