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Kultur Wiesbaden

Kultureller Sinkflug in Wiesbaden?

In Wiesbadens Kulturlandschaft macht sich Trübsal breit. Sowohl dem Künstlerhaus 43 als auch der Filmbewertungsstelle in Biebrich drohen das Aus. Stadt und Land äußern sich unklar.

Von Noah Green

Bis Ende des Jahres 2025 läuft noch der Mietvertrag des Künstlerhaus 43 im alten Palasthotel am Kochbrunnenplatz. Von Anfang an war geplant: dies wird nur eine temporäre Ausweichspielstätte sein. Denn die Gebäudesanierung am ursprünglichen Standort in der Webergasse verlangte den Auszug der Bühne. Doch der Theaterbetrieb an alter Stätte, nach Abschluss der Bauarbeiten, wird nach Magistrats- und Stadtratsbeschluss nicht mehr stattfinden. Denn der Wiederanmietung nach Sanierung kommt das europäische Vergaberecht in die Quere: Die Stadt Wiesbaden darf dem neuen Hausbesitzer und Bauherrn, der den Spezialausbau zum Theater am alten Standort vornehmen würde, keine verbindliche Zusage für eine langfristige Anmietung als Theater geben. Die Stadt müsste zuvor eine europaweite Ausschreibung starten und klären, ob nicht an anderer Stelle eine kostengünstigere Theaterlocation zu realisieren wäre.

Wie gut, dass es aktuell die Ausweichspielstätte Palasthotel gibt und die Stadt Eigentümerin dieses Gebäudes ist – blöd nur, dass der befristete Mietvertrag in einigen Monaten ausläuft und dort dann ebenfalls eine Sanierung ansteht.

Die beiden Theatermacher:innen Susanne Müller und Wolfgang Vielsack widmen dem Spielbetrieb viel Herzblut und eigentlich ihre gesamte Zeit; Theater aus Leidenschaft eben. Nur so ist das Vielspartenhaus irgendwie zu bändigen, denn neben klassischem Schauspiel mischen Susanne und Wolfgang alles in ihr Programm, was auf oder vor der Bühne Spaß und Sinn macht. Ob Musicals, Konzerte, Ausstellungen oder Workshops, Tanz, Performances und Kindertheater. Das sind volle Arbeitstage, denn man muss zudem Stücke schreiben, das Marketing stemmen und das gastronomische Angebot organisieren.

Nun könnte man sagen: „Danke liebe Leute, Euer Engagement macht die Stadt lebenswert.“ Leider sieht die Stadt das aber anders. Man mag das Engagement, aber nicht die Kosten. Zwar seien Bemühungen der Stadt sichtbar geworden, sich um eine Alternative zu kümmern, allerdings würden dabei lediglich Orte außerhalb der Innenstadt angeboten.

Das wiederum ist für Susanne und Wolfgang als Theatermacher:innen keine Option. Denn sie möchten weiter in der Stadtmitte sein, nah bei den Menschen, die nach dem Theater noch auf einen Absacker in der Gastronomie einkehren. Mit einer Petition der beiden Theaterschaffenden wurden in kürzester Zeit etwa 3500 Unterschriften für den Verbleib an einem der beiden Wunschorte, Webergasse oder Kochbrunnenplatz, gesammelt. Da die Webergasse vom Tisch ist, geht es nun um den gegenwärtigen Standort Palasthotel. Die erfolgreiche Petition erhöht nun den politischen Druck auf die Stadt immens. Denn eines ist klar: Nicht nur das Verschwinden des Einzelhandels lässt Innenstädte veröden, noch schneller geht es, wenn man die Kultur verdrängt. Immerhin: Die Stadt deutete weiterhin Willen und Entgegenkommen an.

Von solchen „raumgreifenden“ Ereignissen weiß auch Detelina Kreck zu berichten. Sie und ihr Mann Joachim, inzwischen 89 Jahre alt, teilen seit Jahrzehnten ihre Passion mit den Wiesbadener:innen und vielen darüber hinaus. Anlass für ihre Sorge ist die Einstellung des Betriebs der föderalen Filmbewertung im Biebricher Schloss. Diese Einrichtung, unter Federführung des Landes Hessen, bewertet seit den 50er Jahren, welche Filme für welche Altersklasse zulässig sind und vergibt die Prädikate „wertvoll“ oder „besonders wertvoll“. Vermutlich ist diese pädagogische und inzwischen nostalgisch wirkende Einrichtung aus der Zeit gefallen, daher soll der dort befindliche Kinosaal auch geschlossen werden.

In der Summe geht es um ein jährliches Einsparpotential von 350.000 Euro, Kosten, die zuvor von allen 16 Bundesländern gestemmt wurden. Fällt nun der Kinosaal weg, weiß man nicht mehr wohin mit dem jährlich stattfindenden internationalen Trickfilmfest. Ebenso fallen dann die „Filme im Schloss“ weg, die ausschließlich Filme in Originalsprache für kleines Geld zeigen und mit 95 Prozent Auslastung ungewöhnlich erfolgreich im Kinosektor sind. Hier also versuchen die beiden betagten Filmenthusiasten den Stadtteil zu stärken und haben das Land als „Gegner“. Innerhalb der Stadt gäbe es zwar Alternativen, wie das Murnau Filmtheater oder das Caligari. Beide Spielstätten könnten zumindest das Trickfilmfest aufnehmen, aber auch hier wäre der Charme ein anderer und auch die herausragende technische Ausstattung des Filmvorführaums im Schloss wäre nicht gegeben.

Auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten gilt es, Solidarität mit den Kulturbetrieben zu bekunden, mit einer Stimme zu sprechen und die Belange der Stadtgesellschaft sichtbar zu machen. Denn, es ist offensichtlich, die Finanzkrise in der Kultur ist längst da, greift sogar weiter um sich.