Vom Rechtsstaat keine Spur
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Weil er politisch verfolgt wird, musste Behsad* aus seiner Heimat fliehen. In Deutschland wurde sein Asylantrag abgelehnt – er kam in Abschiebungshaft. Berichte über die Bedingungen seiner Inhaftierung werfen die Frage auf, ob die Zustände dort mit der Menschenwürde vereinbar sind.
von Rebekka Schäfer
Deutschland ist im Wahlkampf angekommen. Das zentrale Thema vieler Parteien: Migration. Lautstark werden mehr Abschiebungen und Grenzkontrollen gefordert. Dabei wird wenig mit den Betroffenen einer solchen Politik gesprochen. Hört man ihnen zu, zeigt sich oftmals ein ganz anderes Bild.
So ist auch die Geschichte von Behsad eine der wenig erzählten. Weil er in seiner Heimat politisch verfolgt wird, muss nicht nur sein Name, sondern auch seine Herkunft anonym bleiben. Dort herrscht ein autoritäres System, in dem politisch Andersdenkende unterdrückt werden. Berichte zeugen von massiven Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Folter.
Als Oppositioneller ist Behsad nach Deutschland geflohen. Obwohl die Situation in seinem Herkunftsland bekannt war, schoben deutsche Behörden in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen dorthin ab, entgegen der eindringlichen Warnungen von Unterstützer:innen und Menschenrechts-NGOs. Sie sollten leider Recht behalten: In mehreren Fällen wurden die Menschen, kaum im Heimatland angekommen, verhaftet. So auch Behsad.
Doch es geht in seiner Geschichte nicht nur um einen verweigerten Schutzanspruch, sondern auch um die Zeit vor seiner Abschiebung, in der er im Ingelheimer Abschiebegefängnis inhaftiert war. Damit ist er nicht allein: bis zu eineinhalb Jahre können ausreisepflichtige Personen inhaftiert werden. Manche sind für wenige Tage dort, andere mehrere Monate lang – und all das nur, weil sie Asyl beantragt hatten und dem nicht stattgegeben wurde. Anders als oft angenommen, finden sich unter ihnen nur vereinzelt Straftäter:innen. In der Vergangenheit wurde immer wieder Kritik an den Haftbedingungen laut: Bemängelt wurden unter anderem Isolationshaft, stark eingeschränkter Hofgang, zu wenig Essen und unzureichende medizinische Versorgung. Vereinzelt wurden sogar Fälle von Fixierungen und Schlafentzug bekannt. Frank Gockel, der Vorstand des Bundesfachverbands zur Unterstützung von Menschen in Abschiebehaft, hält solche Praktiken für untragbar: „Wir müssen nicht, um jede Abschiebung zu sichern, Menschen vollkommen zerstören, foltern. Die Leute gehen kaputt in diesen Räumen.“
„Diese Räume“ heißen offiziell „Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige“. Das Gebäude des Abschiebegefängnisses in Ingelheim erinnert von außen eher an ein Hochsicherheitsgefängnis. Und das ist kein Zufall, denn so wurde es auch gebaut. Von der Außenwelt getrennt durch meterhohe Mauern und NATO-Draht liegt die Einrichtung mitten im Industriegebiet. Was Behsad hier erlebt hat, habe eine Bekannte von ihm dokumentieren müssen, denn er konnte es nicht:
Während einer „besonderen Sicherungsmaßnahme“, die mehrere Tage andauerte, sei Behsad in einer Einzelzelle eingesperrt gewesen. Dort hätte er nichts gehabt, außer Besteck aus Silikon. Kein Kontakt zu anderen Inhaftierten, keine Besuche, kein Schreibzeug. Der Grund dieser „Maßnahme“ sei ein Vorfall gewesen, der sich direkt davor ereignet hätte: Behsad habe gerade mit einem Stift am Fenster seiner Zelle gestanden, um sich etwas zu notieren, als ihn das Sicherheitspersonal beschuldigt hätte, Tabak aus dem Fenster geworfen zu haben. Als Behsad den Vorwürfen widersprochen und um einen respektvolleren Tonfall gebeten habe – und, weil der Stift in seiner Hand als versuchter Angriff gegolten hätte – sei ihm der Arm auf den Rücken gedreht worden.
Obwohl er über Schmerzen geklagt habe, die er durch den Umgang des Sicherheitspersonals erlitten habe, wurde ihm erst am Abend des nächsten Tages ermöglicht, mit einem Arzt zu sprechen. Den habe er dann um eine Bestätigung seiner Verletzung gebeten, aber keine erhalten. Behsad habe diesen Vorfall bei der Polizei angezeigt. Ob er dort weiterverfolgt wurde, ist unklar. Es ist nur eine von vielen Situationen, die Behsad beschreibt. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Landesbeirats für den Vollzug von Abschiebungshaft finden sich ähnliche Berichte über die Einrichtung in Ingelheim. Von einer „unmenschlichen Situation“ ist dort die Rede in Bezug auf eine Frau, die – auch im Rahmen einer solchen „besonderen Sicherungsmaßnahme“ – über 62 Tage in Einzelhaft gewesen sein soll, trotz ärztlich attestierter Haftunfähigkeit aufgrund eines sehr schlechten Gesundheitszustands.
Nachdem Behsad über drei Monate lang in Ingelheim inhaftiert gewesen ist, wurde er abgeschoben. Laut seiner Unterstützerin sei er, nachdem er direkt nach seiner Ankunft festgenommen worden war, inzwischen wieder aus dem Gefängnis freigekommen. Sicherheit gibt es für ihn trotzdem nicht.
Währenddessen ziert folgender Appell die Wahlplakate der FDP: „Migration: Auch guter Wille muss Grenzen setzen.“ Behsads Geschichte ist nur eine von vielen Warnungen davor, dass grundlegende Rechte wie das Asylrecht und eine menschenwürdige Behandlung nicht vom „guten Willen“ deutscher Politiker:innen abhängen sollten.