Hoffnung schenken bei Minusgraden
Gegenwärtig steht das Thema Obdachlosigkeit besonders im Fokus. Mindestens sechs Kältetode von obdachlosen Menschen verzeichnet man bereits im anhaltenden Winter in Deutschland. Die Teestube in Wiesbaden setzt sich ganzjährig für die Hilfe von Betroffenen ein.
von Caroline Alberta Glabacs
Bei sinkenden Temperaturen steigt die Krankheitsanfälligkeit und die Notunterkünfte sind schnell überfüllt. So ist der Winter für Menschen, die auf der Straße leben, mit zusätzlichen Belastungen verbunden. Immer wieder kommt es zu Berichten über erfrorene Obdachlose. Obdachlosigkeit – ein allgegenwärtiges Thema, auch in unserem Erscheinungsgebiet.
Seit über 30 Jahren bietet die Teestube des Diakonischen Werks in der Dotzheimer Straße in Wiesbaden eine Anlaufstelle für Wohnungslose, Obdachlose und sozial Schwache. Fälschlicherweise werden die ersten beiden Begriffe oft synonym verwendet. Wohnungslos meint Personen ohne festen Wohnsitz, die über Möglichkeiten verfügen, bei Bekannten oder Familie unterzukommen. Viele von ihnen, besonders Frauen, leben in der sogenannten verdeckten Wohnungslosigkeit. Im Gegensatz zu ihren männlichen Schicksalsgenossen, können sie in der Regel „leichter“ unterkommen, manchmal gegen Tauschgefälligkeiten. Nicht selten geraten sie so in toxische Abhängigkeitsverhältnisse. Von Obdachlosigkeit Betroffene haben ebenfalls keinen festen Wohnplatz, aber auch nicht die Gelegenheit, in ihrem Umfeld aufgenommen zu werden.
Das Herzstück der Teestube in Wiesbaden bildet der sogenannte „Tagesaufenthalt“ – ein Beratungsangebot für verschiedene Lebenslagen, durchgeführt von Sozialarbeiterteams. Weitere Tätigkeitsbereiche bestehen in einer Suchtberatung und wöchentlichen Untersuchungen durch medizinisches Fachpersonal. Zu der Grundversorgung gehören auch die aus Spenden ermöglichte Kleiderkammer sowie die tägliche Essensausgabe für rund 100 Menschen. Rund 70 Personen nutzen die Stelle auch, um ihre Post zu empfangen. Die Initiative unterhält außerdem ein Hauswirtschaftsprojekt, welches besonders Männern bei grundlegenden Life-Skills unter die Arme greift. „Erlernte Unselbstständigkeit“ resultiert oft aus Problemen in der Jugend oder aus Überforderung im Alltag. Letzte kann durch Schicksalsschläge oder längere Gefängnisaufenthalte verursacht werden. Praktischerweise werden Tätigkeiten im Haus, wie das Sauberhalten der Teestube, unter den Besucher:innen aufgeteilt. Einige Personen können so gemeinnützige Stunden oder ein erhängtes Bußgeld abarbeiten. Nicht zuletzt dienen diese Minijobs zur Einführung in das Arbeitsleben.
Durch die gesellschaftlich ohnehin verletzliche Position der Frau, bedarf es auch in der Obdachlosenhilfe einer besonderen Rücksichtnahme auf weibliche Bedürftige. Dieses Jahr noch soll eine Notübernachtungsmöglichkeit eingerichtet werden, die sich vorrangig auf die Aufnahme von Frauen konzentriert. Auch bisher ist es weiblichen Gästen der Teestube bereits möglich, sich in eine eigens eingerichtete Ecke zurückziehen. Dort kann eine im Straßenleben kaum gegebene Ruhe zur Erholung in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus kann sich auch kreativ ausgelebt werden. Zusätzlich werden für die Frauen regelmäßig Unternehmungen organisiert, Tagesausflüge oder Kinoabende stehen dann auf dem Programm. Freizeitgestaltung und soziales Miteinander werden aber natürlich allen Gästen angeboten. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, Gesellschaftsspiele, Schach oder Tischtennis zu spielen. Zudem kann man sich künstlerisch austoben oder gemeinsam Musik hören.
Besonders stolz ist man in der Wiesbadener Teestube auf die Realisierung der sogenannten „Minihäuschen“ – einem Projekt, das vom Leiter der Teestube Matthias Röhrig entwickelt und in Zusammenarbeit mit der Wiesbadener Schreinerei „Schräge Schränke“ umgesetzt wurde. Auf Kirchengrundstücken im Stadtgebiet werden portable Schlafunterkünfte mit integriertem Solarstrom, Bett, Stauraum und einem Bio-WC eingerichtet. Das auf sechs Monate befristete Projekt mit dem Namen „DachübermKopf“ richtet sich direkt an Menschen, die mithilfe von Mentoren wieder versuchen, auf die Beine zu kommen.
Unterstützt wird die Teestube durch Vereine und Religionsgemeinden aus Wiesbaden, darunter die amerikanische „Baptist Church“ oder die „Ahmadiyya Moschee“, die Spenden und warme Mahlzeiten beisteuern. Auch über die Weihnachtsfeiertage und an Silvester wird für die Gäste gekocht. Spenden werden gerne jederzeit in Empfang genommen. Im Winter bestehen diese vorrangig aus warmer Kleidung, Schlafsäcken, Isomatten, Hygieneartikeln und haltbaren Lebensmitteln. Es ist außerdem möglich, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Über die vergangenen Jahre konnte eine Veränderung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Obdachlosigkeit verzeichnet werden. Den Betroffenen wird mehr Akzeptanz entgegengebracht. Eingehende Anrufe bei der Teestube zeugen beispielsweise eher von besorgten als von sich gestört fühlenden Mitbürger:innen. Leiter Röhrig appelliert an die Zwischenmenschlichkeit der Bürger:innen im Umgang mit Obdachlosen: „Bei Sorgen und Zweifeln sollte die Polizei oder unsere Hotline kontaktiert werden.“ Weitere Informationen dazu gibt es unter regionale-diakonie.de