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Tiere Umwelt

Helden im Erdreich

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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 49: Der Regenwurm

von Konstantin Mahlow

Ein guter Freund von mir kompensiert seit geraumer Zeit die Eintönigkeit seines Bürojobs, in dem er entlang des Mainzer Rheinufers angeln geht. Regelmäßig beglückt er mich mit Selfies, die neben seinem stolz grinsenden Gesicht die teils kapitalen Fänge zeigen: hier ein 83 Zentimeter langer Hecht aus dem Zollhafen, da ein 74er Aal oder der erste Zander der Saison. Da ich selber nicht angle, mich aber letztens während der Betrachtung der Fotos dennoch auf eine sportliche Art und Weise herausgefordert fühlte, schickte ich ihm kurzerhand ein Bild meiner eigenen kapitalen Entdeckung vom Abend zuvor: ein riesiger Regenwurm, genauer Tauwurm, der ausgestreckt exakt die Länge meines rechtes Fußes erreicht – immerhin Größe 46! Guter Köder, kam als Antwort.

Tatsächlich muss der unbedarfte Spaziergänger in regnerischen Nächten aufpassen, wo er hintritt. Denn dann kommen überall aus dem unversiegelten Boden, sofern es in der Nähe überhaupt noch welchen gibt, die Regenwürmer aus dem Erdreich. Nicht zu ihrem Vorteil: Sie werden durch die Vibration der Regentropfen noch oben gelockt, von wo sie aus Blätter in ihre Höhlen ziehen, die dann zunächst von Mikroorganismen zersetzt und erst später dem Wurm zugute kommen. Neben der Gefahr, oben von unvorsichtigen Menschen zertrampelt zu werden, lauert dort auch eine ganze Bandbreite von Fressfeinden wie Amseln, Igeln oder Anglern auf Ködersuche. Besonders den cleveren Vögeln kann man an solchen Tagen stundenlang zuschauen, wie sie aus dem kleinen Vorgarten vor dem Bürofenster einen Wurm nach den anderen aus dem Boden ziehen. Der Regen ist also mehr Gefahr als Hilfe für die Würmer, deren Name seinen Ursprung übrigens nicht im Wetter, sondern in der Umtriebigkeit der „regen“ Würmer im Erdreich hat.

Aber der Reihe nach: In Deutschland leben 40 verschiedene Wurmarten, wovon der Gemeine Regenwurm (Lumbricus terrestris), auch als Tauwum oder Aalwurm bekannt, und der wesentlich kleinere Kompostwurm (Eisenia foetida) am bekanntesten sind. Bei den Exemplaren, die man nachts im Garten oder im Parks auf den Wiesenflächen findet, handelt es sich fast immer um Tauwürmer. Sie werden bis zu 35 Zentimeter lang und sind leicht an ihrem typisch rötlich gefärbten Vorderende und dem blassen Hinterteil zu erkennen. Für Natur und Gärtner sind sie ein Segen: Sie graben bis zu drei Meter tiefe Gänge und durchwühlen dabei ständig den Boden. Sie kompostieren altes Laub und düngen mit ihrem nährstoffreichen Kot den Boden, wodurch sie den Nährstoffkreislauf überhaupt erst in Gang bringen. „Wormcast“ geht für gutes Geld über die Ladentheke, da es vermutlich kaum einen besseren organischen Dünger gibt. Die Würmer regenerieren das Erdreich und machen ein gesundes Leben für Pflanzen aller Art erst möglich. Die leckeren Kartoffeln aus dem Bioladen? Ohne sie undenkbar.

Kompostwürmer dagegen kommen fast ausschließlich und ihrem Namen entsprechend in Komposthaufen vor. Sie sind der Grund, dass aus Küchenabfällen wieder fruchtbare Erde werden kann. Zusammengefasst sind also beide Vertreter wahre Helden der Natur, auch wenn ihre Verdienste eher unbemerkt bleiben. Biologischer Anbau wäre ohne Regenwürmer schlicht nicht möglich, sie besetzen eine absolute Schlüsselrolle für die Versorgung der Pflanzen. Zum Glück sind die Zeiten lange vorbei, in denen Würmer als Schädlinge betrachtet wurden. Auch bestialische, längst verbotene Folterspiele mit den Tieren, insbesondere das „Experiment“, Würmer in der Mitte zu zerschneiden, um dann zwei unabhängig voneinander lebende Individuen zu erzeugen, gehört eher der Vergangenheit an. Spoiler: Bei diesen Experimenten überlebt nur der vordere Teil des Wurms, solange noch genug vom Darm übrig ist. Meistens sterben sie aber qualvoll an einem bakteriellen Befall. Und das kann wirklich niemand wollen, der den Nutzen der Regenwürmer versteht und ein Minimum an Empathie aufbietet.

Den Regenwürmern im STUZ-Gebiet plagt heutzutage eher ein anders Problem. Einwohner der am fünftstärksten versiegelten Stadt Deutschlands zu sein. Dabei sind nicht nur die allseits bekannten Betonprojekte in Mainz gemeint, sondern auch die vielen kleineren Sünden. Zum Beispiel an der Feldberg-Schule in der Neustadt, vor der praktisch unbemerkt mehrere Quadratmeter uralter Wiese für eine Handvoll Fahrrad-Parkplätze geopfert wurden. Früher sah man dort haufenweise kapitale Tauwürmer, die mindestens Schuhgröße 46 hatten. Aber sie kommen auch schnell zurück, wenn man sie lässt. Im Idealfall schon bald auf den neu geplanten Rheinwiesen.

Foto: Wilhelm Zimmerling PAR, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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