Blanke Schultern, lange Beine, enge Korsette
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Rollen von Frauen am Beispiel der Plakatgestaltung um 1900. Das ist das Thema einer kleinen, stimmungsvollen Schau im Museum Wiesbaden. Zu entdecken gibt es unter anderem Plakate heute ganz vergessener Gestalterinnen der Zeit um die Jahrhundertwende.
von Marc Peschke
Werbung. Das war in der Zeit um 1900 und im frühen 20. Jahrhundert vor allem das Plakat. Man fand es an Plakatwänden, vor allem aber an Litfaßsäulen. Das Plakat, Bild und Typografie, das war das zentrale Werbemittel der Zeit – und darauf zu finden waren vor allem Frauen. Frauen als Blickfang, als vielfältig einsetzbares Modell. Verführerisch, sinnlich, stark – die Rollen von Frauen waren damals schon vielfältig. Das zeigt nun die Ausstellung „Plakatfrauen. Frauenplakate“ im Museum Wiesbaden, die Kunst- und Designliebhaber gleichermaßen ansprechen wird.
Denn es steckt nicht nur Kunstgeschichte, sondern auch viel Reklame- und Designhistorie in der Schau, die von den Kuratoren Dr. Peter Forster und Prof. Dr. Petra Eisele vor allem aus den Sammlungen von Ferdinand Wolfgang Neess und Maximilian Karagöz zusammengestellt wurde. Forster ist Kustos am Museum; Eisele Design-Forscherin und Professorin für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule Mainz. Sie hat auch die Leitung des Forschungsprojekts „UN/SEEN: Innovative Frauen in Grafik-Design und Typografie 1865–1919 und heute“ inne. „Mit der Präsentation von Jugendstilplakaten zeigen wir eine weitere wichtige Facette innerhalb unseres Sammlungsschwerpunktes Jugendstil. Das ‚Museum der Straße‘ findet nun einen Platz im Museum“, betont Kurator Dr. Peter Forster.
Es werden zwei grundsätzliche Perspektiven in der Schau beleuchtet. Da sind zum einen die Plakate der (männlichen) Grafik-Designer und Künstler wie Emil Orlik, August Hajduk oder des in Wiesbaden geborenen Ludwig Hohlwein, der in der Nazi-Zeit das Bild des Dritten Reiches mit seinen Entwürfen maßgeblich prägte – und hier mit frühen Arbeiten aus den 1910er und 1920er Jahren vertreten ist. Sie alle setzten vor allem auf gesellschaftlich tradierte weibliche Rollenbilder. Die Frauen, die wir auf diesen Plakaten finden, bewegen sich in eher bekannten Rollenmustern. Sex sells – mit blanken Schultern, langen Beinen und engen Korsetten. So war es auch schon im frühen 20. Jahrhundert. Daneben sind Plakate zu sehen, die von Frauen selbst gestaltet wurden – und gerade hier zeigt sich ein neues Selbstbewusstsein der weiblichen Designerinnen.
Und so finden wir insgesamt ein recht wirres Arsenal von Rollenbildern: Mal blicken die Frauen süß von den etwa 70 ausgestellten Werbeplakaten, dann verführerisch, dann ganz ernst oder streng. Oder sie begegnen dem Betrachter als femme fatale. Und man spürt immer wieder den emanzipatorischen Impetus: neues, weibliches Selbstbewusstsein um 1900. Zu einer Zeit also, als neue Ideen von Weiblichkeit entwickelt wurden: Frauen hatten nun vermehrt Zugang zu Bildung, zu den Universitäten. Sie arbeiteten in ehemals männlich besetzten Berufen.
Doch hatten es Frauen schwer. Die Gestalterinnen und Künstlerinnen, deren Werke in der Ausstellung betrachtet werden können, sind kaum bekannt geworden, haben kaum Spuren in der Kunst- oder Designgeschichte hinterlassen: Etwa Rosa Bruntsch, deren Plakat „Skating Rink“ (eine Farblithografie zur ersten Karlsruher Rollschuhbahn aus dem Jahr 1910 aus der Wiesbadener Plakatsammlung von Maximilian Karagöz) zu den schönsten Exponaten der Schau zählt. Obzwar deutlich jünger, wirkt da die Gestaltung eines Plakates von Georg Johann Köhler für das Opelbad Wiesbaden aus dem Jahr 1934 merklich konventioneller. Die meisten der gezeigten Arbeiten sind allerdings älter und stammen aus den Jahren um 1900 bis in die frühen 1920er Jahre – was die Kuratoren als „erste Hochphase deutscher Plakatgestaltung“ definieren.
Schön also, dass Plakatgestalterinnen wie Anna von Wahl, Rosa Bruntsch, Änne Koken, Margarethe Friedlaender oder Clara Ehmcke nun einen Auftritt im Museum Wiesbaden haben – an einem Ort also, der seit der Schenkung der großen Sammlung Neess‘ im Jahr 2019 zu einem internationalen Zentrum der Jugendstil-Kunst geworden ist. Und auch diese Ausstellung mit Plakaten stellt eine interessante Frage: Wie revolutionär, wie modern war der Jugendstil wirklich?
Über diese Frage lässt sich beim Gang durch die Ausstellung sinnieren, die uns zurückbeamt in eine Zeit, in der Frauen schon beinahe alles sein konnten – flatterhaft, mondän, keck, unnahbar, aber eben auch konservativ und traditionell. Ganz eng hängen die Plakate in der schillernden, aber kleinen Schau, die wirklich Freude macht: Sie entführt uns in eine andere Welt, nimmt uns mit, holt uns raus aus dem Alltag. Und stellt dabei auch noch fundamentale Fragen über patriarchalische Strukturen. Auch politische Plakate, etwa von Käthe Kollwitz oder Wera von Bartels, werden gezeigt.
Ja, bitte, was will man mehr von der Kunst? Nun, ein bisschen mehr will man vielleicht von einem gelungenen Ausstellungstitel. Denn „Plakatfrauen. Frauenplakate“, das klingt ein wenig arg nüchtern und didaktisch. Sonst gibt es aber gar nichts zu meckern an dieser Ausstellung, der man viele Besucherinnen und Besucher wünscht. Doch eines noch: Sie ist in dem großen Museum ein wenig schwer zu finden. Es fehlen Hinweisschilder, aber wer fragt, dem wird geholfen. Es erscheint ein Katalog im Deutschen Kunstverlag. Und es gibt auch ein vielfältiges Begleitprogramm und Workshops.
WTF
Plakatfrauen.Frauenplakate
Bis 16. Februar im Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum für Kunst & Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2
65185 Wiesbaden
museum-wiesbaden.de