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Wanzensafari im Wohnzimmer

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Foto: Charles J Sharp via Wikimedia Commons

Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 46: Stinkwanzen

von Konstantin Mahlow

Es herbstelt im STUZ-Land. An die neue Jahreszeit müssen sich nicht nur Flora und Fauna wieder gewöhnen, sondern auch der Mensch und insbesondere sein noch von Grillorgien und Weinfesten geschwächter Körper. Gerne quittiert dieser den Wetterwechsel mit einer ordentlichen Erkältung. Plantschte man vor wenigen Wochen noch sorglos im Eicher See, ist man jetzt plötzlich auf dem Sofa gefesselt und dämmert zur dritten Aspirin Plus C antriebslos vor sich hin. Doch aus dieser Situation heraus ergeben sich auch ganz neue Perspektiven: Auf die leicht vergammelte Zimmerdecke zum Beispiel, den Himmel des Kranken, der einem mal wieder auf dem Kopf zu fallen droht. Da gibt es Ecken, die man seit Jahren nicht mehr betrachtet hat, und die heute voller Leben stecken: Mottenmaden, Spinnen, Fruchtfliegen und, huch – Wanzen. Sie sind der letzte Beweis, dass der Herbst tatsächlich vor der Tür steht.

Pünktlich zum Ende des Sommers kommen die laut brummenden und noch lauter an die Fenster und Möbelflächen klatschenden Stinkwanzen in unsere Wohnungen. Und das nicht aus Versehen, wie die vielen bemitleidenswerten Schnaken, Marienkäfer und anderen Insekten während der warmen Monate. Sondern mit voller Absicht und zielgenau durch den Fensterspalt in das beheizte Wohnzimmer. Freiwillig betreten sie das Gefängnis, in dem der Erkältete zum Verharren verdammt ist – aus einem pragmatischen Grund: Den Wanzen ist es draußen schlicht zu kalt. Fallen die Temperaturen gar unter minus zehn Grad, was trotz Klimawandel immer noch in jedem Winter passiert, sterben sie. Also suchen sie sich rechtzeitig ein geeignetes Quartier. In einer schönen Altbauwohnung, ausgestattet mit ein paar netten Zimmerpflanzen, offen liegendem Obst und einem toleranten Vermieter fühlt sich so manche Wanze wie Gott in Frankreich. Im Idealfall bleiben sie den ganzen Winter dort, hinterlassen zum Dank ein paar Eier und verduften im Frühsommer wieder.

Von wegen also „auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt die kleine Wanze…“ Sie sitzt mindestens genauso gerne auf dem Lampenschirm, dem Laptopgehäuse oder dem Fensterhebel und provoziert damit regelrecht einen Zusammenstoß. Doch die erkältungsbedingte Unbeweglichkeit macht aus dem kranken Menschen den perfekten Naturbeobachter, die gewöhnliche Wanze nimmt einen praktisch nicht wahr. Der perfekte Zeitpunkt also, sich an der genauen Bestimmung zu versuchen: Am häufigsten und bekanntesten sind die Grüne Stinkwanze (Palomena prasina), die sich über den Winter allerdings bräunlich verfärbt, und die Graue Gartenwanze (Rhaphigaster nebulosa). Eingeschleppt aus Ostasien und im Oberrheingraben immer häufiger ist die Marmorierte Baumwanze ( Halyomorpha halys); besonders ästhetisch: die schwarz-orangefarbene Streifenwanze (Graphosoma italicum).

Sie alle zählen zu der Familie der Baumwanzen und können bei Gefahr ein übelriechendes Sekret ausstoßen – vor allem die, die diesen Umstand schon im Namen tragen. In Mitteleuropa existieren knapp siebzig Arten. Im Gegensatz zu Käfern verpuppen sie sich nicht: Die erwachsenen Imagos paaren sich hauptsächlich im Mai und Juni und kleben ihre Eier gerne an Blattunterseiten, wo diese vom aufmerksamen Gärtner im Frühsommer oft entdeckt werden. Da Stinkwanzen für uns und die Gartenpflanzen ungefährlich sind, sollte man sie unbedingt in Ruhe lassen. Sie saugen zwar auch gerne an Tomaten und anderen Früchten, aber nie in besorgniserregenden Ausmaßen. Die aus den Eiern geschlüpften Jungwanzen nennt man Nymphen. Bis zum erwachsenen Tier durchlaufen etwa die Grünen Stinkwanzen fünf Stadien, bis sie zu den Brummern werden, die bei uns im Herbst ihren mietfreien Unterschlupf suchen.

Auch in der Wohnung richten sie eigentlich keinen Schaden an, höchsten am Nervenkostüm des naturfremden Stadtmenschen. So wie im berühmten Wanzenherbst 2018, als ein ungewöhnlich trockenes und warmes Jahr zu besonders großen Populationen geführt hat. Manche Wohnungen in der Neustadt und im Bleichviertel wurden regelrecht belagert, die Grüne Stinkwanze schaffte es ins Fernsehen und auf Instagram. Und schon damals war jede Panik völlig unbegründet. Wer also verschnupft auf der Couch vor sich hinvegetiert und auf einmal eine Wanze auf dem Regal herum klettern sieht, kann sich entspannen und diese kleine Facette der Natur einfach nur beobachten. Und den Moment vielleicht sogar als kurze Abwechslung vom ermüdenden Genesungsprozess genießen.

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