Erben verpflichtet
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Mit Spannung erwarten die Wiesbadener:innen die neue Spielzeit an ihrem Staatstheater. STUZ sprach mit den beiden Intendantinnen Beate Heine und Dorothea Hartmann über ihre Vorhaben. Auch wenn das Erbe, die Schatten der Vergangenheit wirken, wollen sie sich doch dieser Bürde entledigen, nicht ohne mit ihr – im wahrsten Sinne des Wortes – zu spielen. Mit dem Entrümpeln halten wir nochmal inne und reflektieren, dann aber finden sich neue Freuden und neue Freunde. Das Theater in Wiesbaden braucht Eigenständigkeit und dafür eine Phase der Adoleszenz. Die Stadtgesellschaft, alle Herkünfte, alle Kulturen dürfen und sollen mitwirken. Diese Idee unterscheidet sich elementar von denen der vorangegangenen Jahre.
Interview: Michael Süss
STUZ: Sehr geehrte Frau Hartmann, sehr geehrte Frau Heine, hatten Sie schon einen Bezug oder ein Meinungsbild vor ihrer Annahme der Intendanz zur Stadt Wiesbaden?
Beate Heine: Ich kannte die Internationalen Maifestspiele, zu denen ich auch Produktionen betreut habe, beispielsweise vom Schauspiel Hamburg, die Biennale hat schließlich eine überregionale Ausstrahlung.
Dorothea Hartmann: Mein Mann hatte hier mal ein Jahr gearbeitet. Ich kenne also Museen, Theater und viel durch das Spazieren durch die Parks. Mir ist einiges vertraut.
Gibt es da schon neue Erkenntnisse, was gefällt, was missfällt Ihnen an Wiesbaden?
BH: Zu Anfang hat man ein ziemlich homogenes Bild: Sonnenberg, Nerotal, die nimmt man als aller erstes wahr. Aber jetzt schaue ich mir die Wartburg an, mit dem JUST, das liegt ja in einem anderen Stadtbezirk und dann sieht man schon die Stadt heterogener und internationaler.
Warum trägt das Spielzeitheft 24:25 die Headline: „Was ist unser Erbe?“
CH: Zuerst fällt einem das materielle Erbe ein. Das wirkt als wäre in Wiesbaden überproportionales Erbe, zumindest in manchen Stadtteilen. Oder ist das ein Klischee von Wiesbaden? Denn im nächsten Schritt stimmt das nicht, da ist Wiesbaden eher Durchschnitt. Aber auch die Fragen des ökologischen Erbes, Klima, Umwelt, Natur. Wie geht man mit einem migrantischen Erbe um, wenn man in das Westend schaut? Was bringen sie mit, wie blicken sie darauf? Auch der Generationenkonflikt spielt da rein. Also, da kann man alle möglichen Felder abtasten. Man kommt mit jedem sehr schnell ins Gespräch, denn jeder hat da was zu sagen, zu „Was ist unser Erbe?“, von persönlich bis zu politisch.
Und dann klar: was ist unser künstlerisches Erbe? Wir bewegen uns hier in einem historischen Raum machen aber 2024 Theater. Was gibt es hier für Spannungen, wie gehen wir mit alten Texten um, dem großen Werkkanon der Oper? Das alles ist ein gewaltiges Erbe. All diese Fragen stecken darin, dass wir uns als Theater mit der Gesellschaft und der Stadt auseinandersetzen, aber immer auch mit dem Theatererbe umgehen, wie gehen wir damit um, hier in der Schnittstelle, wo blicken wir zurück und was machen wir damit?
BH: Wir werden das im Spielplan abbilden, auch Rechercheprojekte machen, da geht es um monetäres Erbe, wie Marlene Engelhorns Reaktionen, einen Großteil ihres Erbes der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, oder eben auch um migrantisches Erbe.
Sie planen auch ein Stück unter dem Arbeitstitel: „Unser Erbe. Tax me if you can“ unter anderem zu Marlene Engelhorn, die öffentlich für eine stärkere Besteuerung von Erben bzw. Superreichen eintritt. Dürfen wir in Zukunft ein politisches bzw. kritisches Theater in Wiesbaden erwarten?
BH: Die Recherche findet jetzt statt bis zum Probebeginn. Regisseur Helge Schmidt macht Interviews. Mit Marlene Engelhorn ist ein Interview geplant, aber auch mit anderen Menschen und Millionären aus Hessen, die bei „Tax me now“ aktiv sind. Daraus wird ein Stück entwickelt, dramatisiert.
Dürfen wir in Zukunft ein Mehr an politischem Theater in Wiesbaden erwarten?
BH: Ja, hoffentlich (lacht). Aber das können wir ja aus dem Jetzt nicht so beurteilen. Vor allem in krisenhaften Zeiten hat das Theater diese Verpflichtungen.
Wenn wir ein kulturelles Erbe bezogen auf klassische Stücke bis hin zu Ballett und Oper sehen, ist für viele Bürger:innen der Auftrag des Theaters bereits erfüllt. Aber unsere Gesellschaft hat viele Bürger:innen anderer Wurzeln über die wir wenig bis nichts wissen, vor allem im kulturellen Bereich. Wird es vielleicht auch ein Stück aus diesen Kulturkreisen geben?
BH: Ja, wir beschäftigen uns mit diesen Kulturkreisen und dem migrantischen Erbe und denken auch darüber nach, wer erzählt diese Geschichten eigentlich und wem. Arndt Grenzen beispielsweise beschäftigt sich seit Ende der 1960er Jahre mit der Geschichte der Arbeitsmigration hier im Rhein-Main-Gebiet und erzählt dabei auch eine Geschichte über Diskriminierung und Rassismus und plädiert gleichzeitig dafür, dass wir miteinander in den Dialog treten. Das ist ein sehr zukunftszugewandtes Stück und arbeitet zugleich aber auch die Vergangenheit auf.
Können Sie sich vorstellen, damit auch ein neues Publikum anzusprechen?
BH: Ob man dadurch sofort ein neues oder anderes Publikum anspricht, wissen wir nicht. Aber natürlich laden wir dieses Publikum ein und würden uns wünschen, dass man in den Austausch kommt. Das wünschen sich viele Theater und ich denke, dass das ein mittelfristiges Projekt ist. Wir haben uns beispielsweise im Schauspiel Köln – dadurch, dass die Interimsspielstätte in Mühlheim war, wo es viele Menschen mit migrantischem Hintergrund gibt – auch mit den Menschen beschäftigt, die dort leben, und ihre Geschichten erzählt. Diese Menschen sind dann auch ins Theater gekommen.
CH: Hier könnte man auch noch zwei Projekte anführen, die ganz konkret in der neuen Spielzeit stattfinden und in andere Communities gehen. Das eine ist eine Produktion von Antigone Akgün, die heißt „Hellas am Rhein“ und wird sich auf Spurensuche in die griechische Community in Wiesbaden begeben. Bei der anderen Produktion geht es – im Unterschied zum klassischen Orchesterinstrumentarium – um eine transkulturelle Band. Zu diesem Projekt laden wir ab Herbst Menschen ein, die gerade kein klassisches Orchesterinstrument spielen, sondern außereuropäische Instrumente und Musikstile mitbringen. Das organisiert unsere tolle Composer in Residence, Dariya Maminova.
Die Rechtfertigung der Provokation des goldenen Erdogan war die „Freiheit der Kunst“. Darauf nahm sich der Bürgermeister sein Recht der exekutiven Handlung und ließ die Figur entfernen, um erhitzte Gemüter zu beruhigen. Wie kann Kommunikation auf der Ebene der Kunst funktionieren?
BH: Mit der Erdogan-Statue hat das ja bereits funktioniert, aber natürlich auch das Abräumen dieser Statue war Teil der Kunstperformance und bringt die Menschen im besten Falle ins Gespräch.
Haben Sie Ideen das Theater zu öffnen? Wie erreichen Sie neues Publikum, ohne altes zu verschrecken?
BH: (Lacht) Das ist immer die Frage, wenn man neu kommt. Natürlich versuchen wir, das alte Publikum mitzunehmen und natürlich hoffen wir, auch neues Publikum zu interessieren. Unser Spektrum ist so groß, ob in künstlerischer oder ästhetischer Hinsicht, oder auch in den Diskursen, dass wir hoffen, viele Menschen unterschiedlicher Generationen anzusprechen.
CH: Da wird sicher jeder was finden, aber hoffentlich nicht nur bei dem stehen bleiben, was er gerne finden möchte, dass er sich beim Durchblättern des Spielzeitheftes sagt: „Ach, das kenn ich, da geh ich hin“, sondern dass er möglichst neugierig auch neue Dinge ausprobiert und sich überraschen lässt.
Was würden Kooperationen bedeuten? Zum einen als Brücke zu verschiedenen Generationen zum anderen auch zu Menschen mit Migrationshintergrund?
BH: Wir haben schon mit einigen Playern Kontakt aufgenommen und machen auch übergreifende Projekte mit denen und gehen aus dem Haus heraus. Das werden wir natürlich noch sehr, sehr viel verstärken. Und da wir das Junge Staatstheater in der Wartburg als zentralen Ort haben, werden wir uns auch da natürlich gut vernetzen. Das sind auch Schulen, als großes Netzwerk, das wir uns erschließen.
CH: In Schulen kommt ja auch wirklich die ganze Stadtgesellgesellschaft zusammen und nicht nur die, die es sich sonntags zeitlich oder finanziell leisten können.
Gibt es konkrete Kooperationsvorhaben?
CH: Ja mit dem Landesmuseum und mit der Lutherkirche sind schon konkrete Projekte verabredet. Verschiedene andere Dinge sind schon im Gespräch, unter anderem mit dem Schlachthof.
Wiesbaden und Mainz sind benachbarte Städte, beide mit starker Infrastruktur. Frankfurt und Darmstadt sind auch nicht weit entfernt. Mit anderen Worten: Überall sind Kräfte, die ähnlich wirken, gäbe es da nicht Potential beispielsweise, um Stücke zu tauschen?
BH: Zum einen würde ich sagen, Konkurrenz belebt das Geschäft. Jedes Staatstheater muss sich sein eigenes Profil erschaffen, selbstverständlich aber haben wir Kontakt untereinander. Diese Bubble ist ja nicht so groß, aber wir sprechen uns in bestimmten Bereichen ab.
CH: Wir setzen die Kooperation mit Darmstadt und dem Hessischen Staatsballett fort. Wieviel Sinn es nun macht ein Stück von Mainz nach Wiesbaden zu verlegen, weiß ich nicht. An sich sollte jeder bei sich bleiben und schauen, dass das Publikum wandert.
In den letzten Jahren hat man parallel zur extremen Rechten auch das verdeckte Erblühen des Lokalpatriotismus. Das Rathaus in Wiesbaden duldet, mitunter willkürlich begründet, nicht die Auslage von Mainzer Kulturinformationen. Vermutlich aus der Furcht, die eigenen Häuser nicht ausreichend zu füllen. Kann sich Kultur kannibalisieren?
CH: In Berlin gibt es verschiedene Opernhäuser, da ist Konkurrenz wichtig, man spricht sich ab, dass nicht alle dasselbe spielen. Das tun wir hier auch jetzt. Fröhliche Ströme von Publikum über den Rhein und wieder zurück, das wäre das Ideal.
BH: Beim Schauspielpublikum ist es so, dass die schon auch wechseln, die gucken sich was in Mainz an und die gucken sich hier was an und das ist ganz offen. Bei Klassikerstoffen, nehmen wir beispielsweise Woyzeck, sprechen wir uns schon mit Mainz ab. Auch mit Familienstücken und Weihnachtsmärchen, so dass wir eine Vielfalt anbieten können in der ganzen Region.
Gehen wir in das konkrete Angebot der nächsten Spielzeit: was wird es – heute bereits verraten – an besonderen Aufführungen geben?
CH: Ende September, Eröffnung, sieben Prämieren, drei Tage, alle kommen! Wir spielen draußen im Kurpark eine öffentliche Performance, da kann man mitmachen. (Code veröffentlichen wo man sich anmelden kann). Die Mitwirkenden bewegen sich ohne Kleidung.
Manche Kultureinrichtungen in Wiesbaden, gerade wenn diese städtisch organisiert sind, arbeiten nicht besonders öffentlichkeitswirksam. Gibt es ihrerseits da eine Planung, wie das Programm nach außen kommuniziert wird, um vielleicht mehr und anderes Publikum zu erreichen?
BH: Wir werden sehr viel mehr auf Social Media setzen. Da wird es auch Menschen geben, die in der Kommunikationsabteilung dafür da sind, da auch in den Stadtgesprächen die jungen Menschen zu uns gesagt haben: „Ihr müsst anders mit uns kommunizieren und auf anderen Plattformen.“ Das ist ja total einleuchtend und uns klar, aber es wurde uns nochmals bestätigt und das werden wir auf jeden Fall ausbauen.
CH: Sehr wichtig ist auch die Mund-zu-Mund-Propaganda. Dass wir so gute Produktionen haben, dass es sich in der Stadt herumspricht. Auch wenn Stücke partizipativ sind, kommen die Leute, weil die Oma oder die Nachbarin mit auf der Bühne stehen. Also, es gibt verschiedene Kanäle und wir müssen auch ausprobieren, wie Wiesbaden funktioniert.
Eröffnungswochenende
Vom 27. Bis 29. September steigt das Große Theater Eröffnungswochenende mit sieben Premieren
Der Einstieg erfolgt mit „Habitat“, einer Choreographie von Doris Uhlich. „Habitat“ ist ein Fest für alle Körper, alle Altersgruppen, alle Geschlechter. Die international arbeitende Choreografin Doris Uhlich erarbeitet in Wiesbaden eine schamlose, aber auch schambefreite Hymne an den Körper jenseits von kulturellen Einschreibungen und gängigen Schönheitsidealen. Samstag folgen mit Le Grand Macabre – Eine Oper in Oper in zwei Akten von György Ligeti und Spiel der Illusionen, ein Schauspiel von Pierre Corneille. Am Sonntag kommt es im Landesmuseum zu „Alte Meister“ nach Thomas Bernhard und zu „Double Serpent“ einem surrealen Thriller von Sam Max im Kleinen Haus. Musikalisch spannend sicher auch die Premiere am Abend im großen Haus: Salon Strozzi, ein Sit-In auf der Hauptbühne mit Barockmusik von Barbara Strozzi (1619–1677) und Komponistinnen ihrer Zeit. Für Kinder ist der Samstag in der Wartburg reserviert: „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ nach dem Bilderbuch von Gioconda Belli und Wolf Erlbruch taucht ein in eine Welt voller Schönheit und Wunder.
Mehr Infos und das ganze Programm auf staatstheater-wiesbaden.de