Glasaugen in der Nacht
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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 45: Der Zander
von Konstantin Mahlow
Dass der erfolgreiche Angler seinen Fang weniger dem Glück als seinem antrainierten Können zu verdanken hat, ist für diejenigen, die diesen Sport ausüben, keine Frage. Und doch braucht es diese Prise Fortune, diesen einen guten Wurf, um den begehrtesten aller Speisefische aus dem Rhein zu ziehen: den Zander. Da kann einer hunderte Male am Abend seinen Blinker oder Gummifisch, beides Kunstköder für Raubfische, in der Zollhafenmündung auswerfen und doch, wie man im Anglerjargon sagt, „Schneider bleiben“ – während der gerade eingetroffene Kollege nach zwei Minuten einen 3-Kilo-Fisch am Haken hat. Der Zander ist ein Geist im Rhein, ein nachtaktiver Jäger, von dem kein Angler weiß, ob man ihn bis zum Morgengrauen tatsächlich zu Gesicht bekommt. Eine Ironie der Natur, dass ausgerechnet er das mitunter schmackhafteste Fleisch im Strom besitzt.
Drei Fische aus dem Inselrhein haben wir in dieser Kolumne bisher vorgestellt: Hecht und Wels, die beide immer häufiger werden, und dem vom Aussterben bedrohten Aal, der aktuell nur noch mit menschlicher Hilfe in Form von Jungtier-Besatz überlebt. Der Zander (sander lucioperca) ist der größte Vertreter aus der Familie der Barschartigen und hat im Rhein schon lange einen großen und stabilen Bestand. Ursprünglich stammt er aus Osteuropa und wurde durch den Menschen vor circa 200 Jahren gen Westen eingeführt. Er liebt trübes und nährstoffreiches Wasser, in dem er mit seinem hervorragenden Sehvermögen leichte Beute macht. Biologen vermuten, dass er im immer klarer werdenden Rhein seltener werden und vom Hecht verdrängt werden könnte – bisher ist das aber nicht zu erkennen. Anderswo schein der Bestand zurückzugehen. Der Rhein ist womöglich groß und (noch) strukturreich genug, dass hier mehrere Raubfischarten wie Hecht, Zander, Barsch, Rapfen und Wels nebeneinander existieren können.
In dieser illustren Liste ist der „Stachelritter“, wie der Zander aufgrund seiner Rückenflosse genannt wird, mit maximal 1,30 Meter Länge und über 10 Kilo Gewicht der drittmächtigste Kandidat. Die meisten Fische werden jedoch 50 bis 70 Zentimeter lang. Selbst ein Zander von nur etwas mehr als einem halben Meter Größe, was auf die meisten im Rhein gefangenen Exemplare zutrifft, ist schon um die 6 Jahre alt und 2 Kilogramm schwer. Der aktuelle Filet-Preis für ein Kilo liegt etwa beim Online-Händler fischkaufhaus.de bei stolzen 42,83 Euro. Kein Wunder also, dass so viele Angler den Hundert-Euro-Fischen nachstellen. Kurioserweise ist der Wert in den letzten zwei Jahren aus geopolitischen Gründen nochmal deutlich angestiegen: Der Zander war ob seines ausgezeichneten Geschmacks zwar schon immer der teuerste Süßwasserfisch in jeder Auslage, doch bekam man ihn so gut wie nie frisch, sondern tiefgefroren aus Russland oder Kasachstan. Zum Beispiel als Wildfang aus der Wolga, dem größten Fluss Europas. Doch diese Quellen sind seit dem Krieg in der Ukraine versiegt. Es gibt zwar Ersatz aus Fischzuchten, der ist aber ebenso rar und keinesfalls billiger.
Zu allem Überfluss macht es einem auch der heimische Zander nicht gerade einfach. Er geht erst in der Abenddämmerung auf die Jagd und reagiert empfindlich auf starke Schwankungen des Wasserstands, obwohl solche im Rhein eher normal sind. Ist ein Zander an Land gezogen, fallen sofort seine glasigen, geisterhaften Augen auf, sein wichtigstes Instrument im Fangen von Beutefischen. Zander laichen zwischen April und Juni in Ufernähe. In flachen, angelegten Gruben werden von den Weibchen pro Kilo Körpergewicht bis zu 200.000 Eier gelegt. Wie hoch der Bestand speziell im Inselrhein an den Küsten des STUZ-Gebiets ist, kann allerdings nur vermutet werden. Die Tatsache, dass Angler regelmäßig Zander in allen Größen fangen, darunter auch Jungfische unter dem Mindestmaß, die wieder zurückgesetzt werden müssen, lässt auf eine nach wie vor gesunde Population schließen.
Dennoch könnte es sein, dass die Art früher oder später ganzjährig unter Artenschutz gestellt und das gezielte Angeln damit nicht mehr erlaubt sein wird. Schlecht für den Gourmet, gut für die Umwelt – und die Mythenbildung um den Geist des Rheins.