„Ehrenamt ist sexy“
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Seit 25 Jahren wirbt das Freiwilligenzentrum Wiesbaden fürs Ehrenamt in der Stadt. Das Motto: Für jeden das passende Engagement finden! Der Verein wird unter anderem von der Stadt bezuschusst und hat neben zehn Mitarbeitenden auch 20 Freiwillige, die sich in den unterschiedlichen Fachstellen engagieren. Sie beraten Interessierte und Organisationen, immer auf der Suche nach dem richtigen Ehrenamt. STUZ interviewte die Mitarbeitenden Constanze Bartiromo, Maria Sattler und Jörn Dauer.
von Hendrik Heim
STUZ: Warum braucht es Ehrenamt in Wiesbaden?
Jörn: Die Gesellschaft würde auch ohne Ehrenamt funktionieren. Aber dann könnte sich zum Beispiel kein Kulturbetreiber außer das Hessische Staatstheater mehr tragen. Man müsste sich fragen, was ist man bereit, für den Museumseintritt zu bezahlen? Für die Konzertkarte? Kein Mensch geht ins Theater, wenn er dafür 160 Euro zahlen muss.
In Wiesbaden nennen sich ca. 60.000 Menschen engagiert. Was bringt es, sich für andere einzusetzen?
Constanze: Ehrenamt macht Spaß. Und das soll es auch. Natürlich, die Arbeit in einem Hospiz oder für einsame Senior:innen kann herausfordernd sein. Aber Ehrenamt inspiriert auch, schafft einen Sinn im Leben, den viele beim Arbeiten vielleicht nicht sehen. Es ist eine Möglichkeit, sich selbst zu entfalten.
Maria: Es schafft auch neue soziale Kontakte. Es gibt Leute, die sind neu in Wiesbaden, gerade aus dem Beruf ausgestiegen. Und die sitzen plötzlich alleine auf der Couch und brauchen wieder Menschen um sich.
Das sind ja schon mal einige Gründe für Interessierte. Wie helft ihr den Wiesbadener Freiwilligen mit eurer Arbeit?
Constanze: Man findet auf unserer Website Organisationen, die gerade nach Hilfe suchen. Man kann sich registrieren lassen, ein Formular zu seinen Interessen ausfüllen und bekommt dann passende Vorschläge angezeigt.
Persönliche Beratung gibt es bei euch aber auch. Wie läuft die ab?
Jörn: Im Prinzip ist das ganz einfach. Man macht telefonisch einen Termin aus und kommt dann bei uns vorbei. Im Gespräch werden hier die individuellen Interessen und Kapazitäten erkundet. Da kann es schon mal passieren, dass aus einem Wunsch, unbedingt etwas mit Kultur zu machen, schließlich Jugendarbeit mit Kindern herauskommt. Am Ende bekommt man dann fünf bis sechs konkrete Vorschläge. Die Freiwilligen kommen mit den Organisationen in Kontakt. Passen beide Seiten zusammen, gibt es erst einmal eine Testphase.
Constanze: Unser Ziel ist es aber nicht, so viele Menschen so schnell wie möglich ins Ehrenamt zu bekommen. Bei uns soll jeder erst einmal richtig beraten und informiert werden. Wenn dann herauskommt, dass man eigentlich schon total überlastet ist, war es für uns trotzdem ein gewinnbringendes Gespräch.
Immer mehr Vereine verzeichnen nur noch sinkende Mitgliederzahlen. Was heißt das fürs Ehrenamt?
Jörn: In den 70ern und 80ern war Ehrenamt noch total durch Vereine geprägt. Es war gerade in ländlichen Gebieten das Einzige, was man hatte. Für viele war es da selbstverständlich, Vereinsmitglied zu sein.
Constanze: In unserer Arbeit trennen wir aber klar zwischen Mitgliedern und Ehrenamtlichen. Beispiel Karneval: Mitglieder, das sind diejenigen, die regelmäßig zehn Euro überweisen und dann Angebote im Verein nutzen. Die fahren also auf dem Umzug mit und sind glücklich. Ehrenamtliche sind die, die sich bereiterklären, aufzupassen, dass niemand vor den Wagen fällt. Ehrenamtliche finden sich noch immer, aber wirklich langfristig Vereinsmitglied wollen immer weniger Menschen werden.
Maria: Man bindet sich nicht mehr so leicht, möchte individueller, freier mit seiner Zeit umgehen. Die Menschen engagieren sich punktueller für ihre Interessen, sind öfter bei einzelnen Projekten dabei als in Gremien mit festem Mandat.
Wie blickt ihr auf die Zukunft des Ehrenamts?
Constanze: Wir erleben eine Veränderung in der Engagement-Szene, besonders in der Vereinslandschaft. Die Schwierigkeit wird es aber nicht sein, dass sich nicht mehr genug Ehrenamtliche finden. Während der letzten Krisen hat sich ja gezeigt, wie viel Potenzial an Engagement es gibt. In Zeiten der Ukrainehilfe waren es dreimal mehr Menschen. Ich werde nie vergessen, einen Tag nach Kriegsbeginn: Plötzlich standen Menschen vor der Tür und sagten, sie hätten ein Wohnzimmer frei oder kamen, um Sachspenden zu verteilen.
Maria: Die Herausforderung wird sein, zu definieren, wo Ehrenamt aufhört. Ehrenamt darf kein kostenfreier Jobmarkt werden. Stichwort Pflege und Erziehung. Es darf einfach nicht sein, dass jemand ehrenamtlich acht Stunden am Tag eine Gruppe von 20 Kindern betreut, weil da kein hauptamtlicher Erzieher mehr ist.
WTF:
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