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Gesellschaft

Diskutieren will gelernt sein

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In Zeiten zunehmender Polarisierung wären vernünftige Diskussionen doch ein guter Ansatz. Ein Ausflug in die Diskursethik eröffnet hier neue Einsichten und zeigt wie es gelingen kann.

von Hendrik Heim

Diskussionen sind allgegenwärtig – sei es in politischen Debatten, in der Familie oder im Freundeskreis. Doch wie sinnvoll sind sie wirklich, wenn am Ende jeder mit seiner ursprünglichen Meinung nach Hause geht? Gibt es eine Art der Diskussion, die zu besseren Lösungen führt?

Talkshows als Darstellung
Es ist ein Donnerstagabend. Im Ersten läuft eine Talkshow. Spitzenpolitiker:innen und eine SPIEGEL-Journalistin diskutieren über die Vertrauenskrise der Regierenden. Jens Spahn (CDU) kritisiert die Bundesregierung, Kevin Kühnert (SPD) verteidigt sie, Sahra Wagenknecht wirbt für ihre neue Partei und alle sind irgendwie gegen die AfD. Kein Mehrwert für Zuschauende, die sich wirklich fragen, wie mehr Vertrauen in die Demokratie gelingen kann. Keine Einigung in auch nur entferntester Form in Sicht. Stattdessen machen die Diskutierenden lediglich Werbung für ihre Interessen. Das so notwendige Streiten in einer Demokratie verkommt in dieser Folge zur Darstellung. „Personality-Talkshow“ nennt das die Wissenschaft.

Immer wieder wird kritisiert, dass Debatten nicht zielführend seien, gerade im Fernsehen. Dieses Problem gibt es auch auf Social Media, wo anonym hinter dem Bildschirm argumentiert werden kann. In einer Befragung gaben 38 Prozent der Nutzenden von sozialen Medien an, dort Kommentare zu hinterlassen. So folgt Statement auf Statement, schon mal gepresst auf 280 Zeichen. Kompromissbereitschaft oder Dialog? Fehlanzeige!

Diskursethik bringt weiter
In der „Diskursethik“ beschäftigen sich Philosophen wie Jürgen Habermas und andere mit der Frage, wie man richtig diskutiert. Dabei unterstellen sie erst einmal jedem Menschen, dass er seine Meinung mit Argumenten unterfüttern kann. Alle haben eine „grundsätzliche Vernunftfähigkeit“. Für das gelingende Debattieren stellt Habermas dann vier grundlegende Voraussetzungen, die „Diskursregeln“ auf: Erstens müssen alle Teilnehmenden gleichberechtigt sprechen können, beispielsweise auch im Streit zwischen Schüler:in und Lehrkraft. Als Zweites sollen alle frei von Beeinflussung sein, beispielsweise keine Lobbyisten. Ein Zustand, den die Politik quasi nie erreicht, schließlich steht dort fast immer die Haltung der Partei im Vordergrund, die ein rein strategisches Diskutieren fördert. Zu Hause kann man Unabhängigkeit besser umsetzen. In der Debatte gültig sind drittens nur rationale und logische Argumente. Ziel ist es, sich dann in einem gemeinsamen Konsens auf eine für alle Teilnehmenden gültige Wahrheit zu einigen. Dabei ist man viertens bereit, auch Argumente der Gegenseite zu akzeptieren. Habermas fasst dies zusammen in einem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“. Dabei geht es nie um die allgemeingültige Wahrheit, sondern um eine Einigung zwischen den Streitenden in genau diesem Moment.

In der Diskursethik unterscheidet man die Art und Weise, wie eine Person argumentiert. Agiert sie „strategisch“, so versucht sie hauptsächlich, ihre Sicht der Dinge in ein positives Licht zu rücken. Durch rhetorisch starke Reden oder Emotionen versucht man gerade in der Politik, möglichst viele Unterstützer:innen zu finden. Eine gewinnbringendere Debatte ist nach Habermas aber das „emanzipatorische“ Argumentieren. Ziel ist es dann, unabhängig und frei, ohne strategische Impulse über ein Thema zu diskutieren und sich gemeinsam auf eine beste Lösung zu einigen.

Diskutieren im Alltag
Natürlich kann man die Diskursethik auch ganz einfach im Alltag anwenden. Für eine bessere Kommunikation mit Freundinnen und Freunden, Familie und Kollegium gibt es diese sechs Regeln, die ein Miteinanderreden deutlich effektiver gestalten:

1. Versuche, deinem Gegenüber wirklich zuzuhören. Lass die andere Person ausreden und begegne ihr auf Augenhöhe
2. Wechsle auch gedanklich die Perspektive. Damit erreicht man weit mehr als mit argumentativem Draufhauen
3. Geh nicht zu stur in das Gespräch hinein. Wer weiß, vielleicht gibt es ja einen Aspekt, den du noch gar nicht betrachtet hast. Gönn dir, auch mal anders über das Thema nachzudenken
4. Bleib immer sachlich. Auch wenn man verschiedener Meinung ist, darf der Respekt nicht zu kurz kommen
5. Verliere dich nicht in immer stärkeren Argumenten. Frage dich, wo du mit deinem Gegenüber einer Meinung bist und suche aktiv nach Kompromissen
6. Erzwinge keine Einigung. Wer nicht mit sich reden lassen will, den wirst auch du nicht umstimmen können

Vielleicht ist aber auch die berühmte Elternaussage oft gar nicht schlecht: „Nein, ich diskutiere jetzt nicht mit dir.“

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