Kunst der Bewältigung
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Beim Thema psychische Erkrankungen schwingt noch zu oft ein Vorurteil behaftetes Meinungsbild mit. Das Kunstprojekt „Grüne Schleife“ aus Mainz tritt den Klischees und Tabuhaltungen mit kreativem Gestalten entgegen.
von Caroline Alberta Glabacs
Mentale Gesundheit unterliegt noch immer Tabuisierungen in der Gesellschaft. Eine Studie des Bundesministeriums für Gesundheit aus dem Jahr 2015 belegt, dass nahezu jede:r Dritte in Deutschland an einer psychischen Erkrankung leide. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2023 der Europäischen Kommission innerhalb der Mitgliedsstaaten liegt der Anteil an Personen mit psychischen und emotionalen Störungen sogar bei 46 Prozent.
Das Kunstprojekt Grüne Schleife aus Mainz stellt sich der Herausforderung, Stigmata rund um den Komplex mentaler Erkrankungen zu bekämpfen. Es findet seine Stimme durch die Aufarbeitung mittels künstlerischer Betätigung. Die Namensgebung lehnt an die grüne Schleife an, das internationale Symbol für Offenheit und Solidarität im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen. Seit 2019 ist die grüne Schleife auch in Deutschland als Solidaritätssymbol präsent.
Die gleichnamige Galerie in der Mainzer Praxis von Diplompsychologin und Projektleiterin Sabine Schütt-Strömel präsentiert die kreative Arbeit von fünf Künstler:innen in therapeutischer Behandlung. Sie bietet den Künstler:innen eine sichere Atmosphäre und respektiert die Wahrung persönlicher Grenzen. Nicht jede:r Betroffene kann sich offen zu einer Erkrankung bekennen. Oft versperren Verunsicherung, Scham, Angst vor Bloßstellung und Unverständnis, ebenso wie Sorge vor Nachteilen im Berufsleben den Weg zu einem offenen Umgang mit dem Thema. Hinzu kommen Hindernisse wie die Verharmlosung oder Leugnung von mentalen Problemen oder kulturell beziehungsweise religiös bedingte Ignoranz. Aus diesem Grund stellen einige der Frauen ihre Werke anonym aus.
Sabine Schütt-Strömel rief das Projekt ins Leben, da sie in vielen ihrer Patient:innen die kreative Ausdrucksweise nicht nur als Talent, sondern auch als Weg der Verarbeitung von bedrückenden Gefühlen erkannte. Vermehrt berichteten Patientinnen davon, ihre Hobbies wegen mentaler Belastungen zunehmend zu vernachlässigen. Um die Frauen zu motivieren, gründete sie die Projektgruppe im Herbst 2022. Durch die Zusammenarbeit der Künstlerinnen entstand eine Sammlung aus 25 Kunstwerken, die Schütt-Strömel in ihrer Praxis dauerhaft ausstellt. Dabei kamen unterschiedliche Kunsttechniken zum Einsatz, wobei die Palette von Acrylmalerei bis hin zu Bleistiftzeichnungen, von abstrakter Kunst bis zum Realismus reichte. Die Künstlerinnen brachten teilweise bereits angefertigte Werke mit, andere Ausstellungsstücke entstanden eigens für das Projekt. Die Kunstwerke sagen dabei Unterschiedliches aus. Die einen thematisieren die psychische Belastung, andere wiederum stellen bewusst lebensfrohe, bunte, positive Motive dar. Grundsätzlich ist dabei wichtig, dass jede:r einen individuellen Weg der Verarbeitung findet.
Selina Sattler, eine der Künstlerinnen der Galerie Grüne Schleife, ist selbst professionelle Photographin und hat zu der Ausstellung Bleistift- und Kohlezeichnungen beigetragen. Ihre Motivation begründet sie wie folgt: „Leider hatte ich durch meine mentale Verfassung immer weniger Zeit für das Zeichnen. Das nahm ich als Anlass, an der Idee mitzuwirken.“ Andererseits liegt ihr eine andere Botschaft am Herzen, die sie und die gesamte Initiative an die Menschen richten wollen: „Wir möchten gegen das Schubladendenken der Gesellschaft angehen. Es ist uns wichtig, die Aufmerksamkeit auf dieses oft verdrängte Problem zu richten und psychischen Erkrankungen mehr Sichtbarkeit zu schenken. Den Leuten muss bewusst gemacht werden, dass mehr Menschen betroffen sind, als man vermuten würde. Außerdem spendet es Trost, sich mit Betroffenen auszutauschen.“
Mentale Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche, auch wenn sie zumeist nicht direkt greifbar – und – wie eine Wunde oder ein gebrochener Knochen erkennbar ist. Mental gesund zu sein, kann ausschlaggebend für eine angenehme Lebensqualität sein.
Die Grüne Schleife freut sich auf die Finissage des Projektes, zu der Vertreter:innen aus dem Bereich der Psychotherapie geladen sind. Damit soll erreicht werden, dass die Inspiration weitergetragen und ein Anstoß für Förderung und Nachahmung gegeben wird. Einzelne Künstler:innen sind bereit, in die Öffentlichkeit zu treten, weshalb für die Zukunft weitere Projekte geplant sind: „Kunst bedeutet, einen Teil von sich selbst zu präsentieren. Wir hoffen sehr, dass das Projekt Grüne Schleife zu mehr Solidarität anregt und Betroffene ermutigt, durch Kreativität Unausgesprochenes auszudrücken“, erklärt Sattler.