Die letzte Krise
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Gregor Gysi kommt im Februar mit seinem neu erschienenen Buch „Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ nach Wiesbaden ins Kurhaus. Ein Interview über das Alter, die Linke in der Krise und den Sturm auf Fabriken.
Interview: Leon Groß
STUZ: In ihrem Buch ist das vorletzte Kapitel dem Alter gewidmet. Ich würde gerne mit diesem Thema anfangen.
Gregor Gysi: Gut.
In Frankreich gibt es ein Sprichwort: Mit 20 Anarchist, mit 30 Sozialist, mit 40 Demokrat, mit 50 Liberaler und mit 60 Konservativer. Wie alt sind Sie, Herr Gysi?
Also ich bin jetzt 75 Jahre alt und habe durchaus gewisse konservative Elemente. Zum Beispiel hinsichtlich der Art, wie ich Weihnachten feiere. Da brauche ich einen Christbaum mit echten Kerzen, ich brauche Weihnachtsmusik und ich brauche auch eine Weihnachtsgans.
Und politisch? Bezeichnen Sie sich noch als demokratischer Sozialist?
Na selbstverständlich. Ich will am Kapitalismus das überwinden, was er nicht kann und das bewahren, was er kann. Er kann eine höchst effiziente Wirtschaft hervorbringen, die allerdings gelegentlich mit der ökologischen Nachhaltigkeit kollidiert. Er kann eine Top-Wissenschaft und Forschung hervorbringen. Er kann eine Top- Kunst und Kultur hervorbringen, ich erinnere an Berthold Brecht, der das Ergebnis des Kapitalismus ist, nicht etwa des Staatssozialismus. Und er kann einigermaßen freiheitlich und demokratisch sein, muss es aber nicht, aber er kann es sein. So jetzt komme ich zu dem, was er nicht kann: Er kann keinen Frieden sichern, weil es immer um Macht und Rohstoffe geht und weil an Kriegen zu viel verdient wird. Er kann keine soziale Gerechtigkeit herstellen, weil er immer dazu tendiert, Reichtum in wenigen Händen zu konzentrieren und Armut zu verbreiten. Er hat große Schwierigkeiten mit der ökologischen Nachhaltigkeit, weil die Schließung eines Produktionsprozesses, der sich rechnet, antikapitalistisch ist. Letztlich kann er keine Emanzipation, das heißt keine Selbstverwaltung des Menschen durchsetzen. Also meine Vorstellung von einem demokratischen Sozialismus besteht darin, dass ich das überwinde, was er nicht kann und das bewahre, was er kann. Sie können das meinetwegen auch demokratischen Kapitalismus nennen. Wichtig ist nur, dass wir das überwinden, was er nicht kann.
Bewahren was funktioniert und reformieren was nicht funktioniert, das kann man ja im besten Wortsinn als konservativ bezeichnen.
Im besten Sinne können sie das konservativ nennen. Es ist übrigens gar nicht so selten, damit meine ich jetzt nicht mich, dass Fortschritt in der Geschichte durchaus durch Konservative kam, die trotzdem neue Ideen eingebracht haben. Aber es gibt natürlich auch Konservative, die sind durch und durch kleinbürgerlich, die lassen überhaupt nichts Neues zu, sind auch nicht bereit, der Jugend zuzuhören und so weiter. In dem Sinne bin ich natürlich nicht konservativ.
Wird man im Alter reaktionärer?
Nein, man wird aber langsamer, man wird etwas bequemer, aber man muss nicht reaktionärer werden. Ich habe mir da etwas bewahrt und ich war ja auch schon, als ich jünger war, nicht so festgeschrieben, dass ich immer nur weiß, was ich stürmen wollte, die Fabriken etc. Das hat ja auch nicht wenige an mir gestört.
Was hat Sie davon abgehalten, Fabriken zu stürmen?
Einfach, dass ich gemerkt habe, dass das nichts bringt. Ich hatte ja nun noch die staatssozialistische Erfahrung. Der Staatssozialismus ist ja gescheitert. Deshalb sage ich immer, die öffentliche Daseinsvorsorge muss in öffentlicher Verantwortung stehen. Ein Krankenhaus muss sich nicht in erster Linie rechnen, sondern in erster Linie für Gesundheit zuständig sein. Dann sage ich, die großen Konzerne und Banken sind zu mächtig. Da brauchen wir eine Teilvergesellschaftung, vielleicht durch einen Anteil an Belegschaftseigentum und so weiter. Im Übrigen darf es in geringerem Umfang genossenschaftlichen und im größeren Umfang privates Eigentum geben. Da hilft auch die Marktwirtschaft, vorausgesetzt, dass die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Konsumentinnen und Konsumenten ausreichend gesichert sind. Daran sehen Sie meine Schlussfolgerungen sowohl aus der DDR, als auch aus der Bundesrepublik.
Was treibt Sie an?
Krisen! Zu einem Anwalt kommen immer nur Menschen, die sich in Krisen befinden und jetzt ist meine Partei gerade wieder in einer Krise und das treibt mich im Augenblick an. Allerdings ist es die letzte Krise, um die ich mich kümmere. Für die nächste bin ich dann nicht mehr zuständig.
Apropos Krise: Fänden Sie es besser, wenn Sarah Wagenknecht noch in der Linken wäre?
Ja, ich war immer der Meinung, wir sind eine von-bis Partei. Nur die Art der Auseinandersetzung, das hätten wir dann nicht mehr ausgehalten. Nun ist sie den Schritt gegangen und hat gesagt, sie macht ihre eigene Partei. Dann soll sie ihre eigene Partei machen. Das ist ja auch ihr gutes Recht. Nur hätten die zehn niemals die Mandate mitnehmen dürfen. Wenn sie die niedergelegt hätten, dann wären zehn Linke nachgekommen. Wir wären eine Fraktion geblieben, hätte auch mein Leben erleichtert. Wir könnten eine amtliche Abstimmung beantragen. Wir hätten nicht alle Beschäftigten der Fraktion entlassen müssen, was wir jetzt mussten, und das werde ich nicht vergessen und das nehme ich auch ein bisschen übel.
Vor welchen Herausforderungen steht die Partei die Linke?
Meine Partei steht vor der Herausforderung, dass sie erstens die Selbstbeschäftigung aufgeben muss, die Denunziation aufgeben muss und sie muss sich auf fünf Fragen konzentrieren. Also sie darf nicht der Laden für die tausend kleinen Dinge sein. Das erste ist reale Friedenspolitik, das zweite ist deutlich mehr soziale Gerechtigkeit, einschließlich Steuergerechtigkeit. Das dritte ist ökologische Nachhaltigkeit nur in sozialer Verantwortung. Das vierte ist die Gleichstellung von Frau und Mann und das fünfte ist die Gleichstellung von Ost und West. Das sind Ihre Themen, keine anderen. Wenn sie sich darauf konzentriert und glaubwürdig ist, dann kann meine Partei gestärkt aus der Krise gehen. Letztlich entscheidet sich unser Schicksal mit der Bundestagswahl im Herbst 2025.
Auch wenn die Linke aktuell existenziellere Fragen beschäftigt, wie steht es um die Debatte um Regierungsbeteiligung?
Selbstverständlich muss man auch zur Regierungsverantwortung bereit sein, aber im Augenblick kommt sie gar nicht in Frage. Wenn ich an den Krieg denke, wir sind ja für eine Beendigung und Herr Pistorius von der SPD will unsere Bundeswehr kriegstüchtig machen. Also wir wollen, dass sie verteidigungstüchtig ist, unser Land verteidigen kann, nicht kriegstüchtig ist, sodass sie weltweit Kriege führen kann. Also das funktioniert alles nicht. Der Sozialabbau, der jetzt wegen des Haushalts beschlossen wurde. Wir sind sowieso Gegner der Schuldenbremse. Ich habe damals CDU und SPD gefragt, warum sie denn die ins Grundgesetz aufnehmen. Es hindert sie ja keiner, weniger Schulden zu machen. Da haben sie mir erklärt, man muss sich selbst disziplinieren. Na, sehr schön. Jetzt haben sie aber da voll in den Glückstopf gegriffen, kann ich nur sagen. Also das sind alles so Sachen. Im Augenblick würde das sehr, sehr schwer werden. Aber es kann andere Situationen geben. Dann muss man auch anders darüber diskutieren.
Was für Möglichkeiten hat man in der Opposition?
Die Möglichkeit den Zeitgeist zu verändern. Ich habe Anfang der 90er Jahre einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gefordert. Da waren sogar viele Gewerkschafter dagegen und alle anderen Parteien waren dagegen. Inzwischen haben wir ihn. Was hat sich geändert? Der Zeitgeist. Aber das liegt nun nicht etwa allein an mir aber durch viele Faktoren hat er sich geändert. Und das ist die Aufgabe der Opposition. Die Opposition muss immer wieder versuchen, den Zeitgeist zu verändern. Damit beeindruckt sie dann auch die Regierung.
Nicht nur die Linke versucht in der Opposition den Zeitgeist zu verändern. Die AFD scheint eben damit gerade sehr erfolgreich zu sein. Woher kommt ihr Erfolg?
Wir denken immer darüber nach, was die AfD macht und wir denken viel zu wenig darüber nach, was die anderen falsch machen. Also die CSU, die CDU, die SPD, die FDP, Bündnis 90, die Grünen und wir. Wir müssen eher darüber nachdenken, was wir falsch machen, dass die AfD so erfolgreich ist. Der größte Fehler im Osten bestand darin, dass die Bundesregierung sich für die DDR nicht interessiert hat. Für die war DDR nur SED, Staatssicherheit und Mauer-Tote. Das ist richtig. Das war auch die DDR. Aber die DDR war viel mehr. Es gab da auch ein eigenes Leben. Das hat sie nicht interessiert. Und deshalb haben sie auch nichts Wesentliches übernommen. Damit hat man den Ostdeutschen gesagt, dass sie nichts geleistet haben, und das hat das Selbstbewusstsein nach unten gedrückt. Und die Folge davon ist, dass dort die AfD so gut ankommt. Auch weil wir Freiräume geboten haben, nachdem wir uns mit der BASG vereinigt haben.
Herr Gysi es scheint als hätten Sie auf jede Frage eine spontane Antwort. Wann haben sie zuletzt etwas nicht gewusst und das auch gesagt?
Das letzte Mal war Anfang der 90er Jahre. Da fragte mich einer von der Tagesschau etwas und ich habe gesagt das weiß ich nicht. Und da hat er die Kamera ausgemacht und gesagt, Herr Gysi, das dürfen Sie nicht sagen als Politiker. Sie müssen immer was sagen. Da sag ich, ich weiß es aber nicht und dann sag ich ihm auch, dass ich es nicht weiß. Da war der ganz schockiert, aber ich weiß nicht mehr, worum es ging.
Was macht eine gute Antwort aus?
Eine gute Antwort ist eine, die nicht zu kurz und nicht zu lang ist. Also nur Ja oder Nein ist zu wenig und immer gleich einen ganzen Vortrag dazu halten ist zu viel. Aber die Antworten sollen auch nicht oberflächlich sein. Also das ist nicht einfach.
So kurz wie möglich, so lang wie nötig?
Ja, so könnte man sagen.
Foto: Dr. Frank Gaeth via WikiCommons