Schrecken aus dem Sommerloch
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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 37: Die Nosferatu-Spinne
von Konstantin Mahlow
Menschen können ganz unterschiedlich auf Spinnen reagieren – von Arachnophobie über lässige Gleichgültigkeit bis zu Faszination lösen die achtbeinigen Wirbellose eine ganze Bandbreite an Gefühlen in uns aus. Wenn aber das Exemplar, das gerade die Küchenwand hoch krabbelt, auf eine Beinspannweite von sechs Zentimetern kommt und auch noch den Namen einer transsilvanischen Sagengestalt trägt, die ihren Opfern das Blut aus den Adern saugt, geht wohl jeder erst einmal auf Abstand. Dabei ist vieles, was der so angsteinflößenden Nosferatu- Spinne angedichtet wird, völlig aus der Luft gegriffen – also genauso wie der angebliche rumänische Volksglaube an Vampire, den es tatsächlich nie gegeben hat. Und trotzdem löst kaum ein Tier in Deutschland aktuell so viel Angst und Schrecken aus.
Ihr deutscher, jedoch völlig unwissenschaftlicher Spitzname trägt sicher seinen Teil dazu bei. Und da geht die Mythenbildung schon los: Zoropsis spinimana aus der großen Familie der Kräuseljagdspinnen besitzt streng genommen keinen deutschen Namen. Die Bezeichnung Nosferatu-Spinne beruht auf der Zeichnung auf dem vorderen Teil ihres Körpers, die tatsächlich an einen Totenschädel oder eben den Kopf des Nosferatu aus Friedrich Wilhelm Murnaus gleichnamigen Film von 1922 erinnert. Im Ursprung also völlig trivial. Doch vor allem für die deutschen Medien war der Zug da in Aussicht auf reißerische Schlagzeilen schon abgefahren. Groß, fleischiger und wenig filigraner Körper, benannt nach einer Horrorfilm-Figur, dazu auch noch giftig: Unter dem Strich die perfekten Zutaten, um deutschlandweit für Angstschweiß in den eigenen vier Wänden zu sorgen. Vor allem für Menschen, die schon beim Anblick der eher zerbrechlich wirkenden Zitterspinnen oder Weberknechte aus der Haut fahren. Aber ist diese Angst begründet?
Ursprünglich stammt die Nosferatu-Spinne – wir bleiben der Einfachheit halber bei der gewohnten Bezeichnung – aus dem Mittelmeerraum. Wie vielen anderen Spezies auch ermöglichte der Klimawandel ihre Ausbreitung nördlich der Alpen, die frühestens vor 20 Jahren begann und noch längst nicht abgeschlossen ist. Auffällig ist, dass fast alle Sichtungen aus Häusern stammen. Ob die Art sich also im mitteleuropäischen Freiland überhaupt etabliert hat oder streng synanthrop lebt – also sich ausschließlich dem Lebensraum in menschlichen Siedlungen angepasst hat – ist umstritten. Tatsache ist, dass sie nicht unbedingt nach draußen muss und als aktive Stubenhockerin ganze Population im Eigenheim gründet. Sie verschanzt sich auch nicht dankenswerterweise im Keller, sondern klettert dank spezieller Hafthaare an den Beinen gerne hoch hinauf, sogar an Glasscheiben. Die Eier weben die Weibchen in einem Kokon und in einem Gespinst aus Kräuselfäden ein, den sie argwöhnisch bewachen.
Aufmerksame Leser dieser Kolumne fühlen sich vielleicht an einen anderen Eindringling aus dem Süden erinnert, dem nicht minder beängstigenden Spinnenläufer (Teil 23). Und tatsächlich existieren einige Parallelen zwischen den Arten: Beide spinnen keine Netze, sondern jagen frei in der Wohnung. Und beide können schmerzhaft zubeißen – gefährlich ist das jedoch nicht. Wie viele große Spinnen besitzt zwar auch die Nosferatu-Spinne ein Gift, für den Menschen ist es allerdings harmlos und dem Schmerz nach mit dem Stich einer Wespe vergleichbar. Die große Panikmache ist also, wie so oft, übertrieben. Was bleibt ist ihr eindrucksvoller Körper, dessen Anblick uns auch in Zukunft schaudern lässt und für Menschen, die unter Arachnophobie leiden, ein echtes Problem sein kann. Dabei ist die Nosferatu-Spinne nicht mal unsere größte Art: Die überall im STUZ-Gebiet verbreitete Große Hauswinkelspinne kommt auf eine Beinspannweite von bis zehn Zentimetern und war hier schon immer heimisch.
Aber Sommerloch bleibt Sommerloch. Und überzogene Artikel über die vermeintlich gefährliche Nosferatu-Spinne haben in den letzten Monaten nicht nur ein paar Schreibern das Honorar gesichert, sondern auch einen Mythos losgetreten, der sich über das Stille-Post-Prinzip längst verselbstständigt hat. Jetzt im Winter leben generell mehr Tiere in unseren Wohnungen, wodurch auch die Sichtungen zunehmen werden. Dabei ist die Angst vor der Nosferatu-Spinne genauso begründet wie die vor erfunden Volksmärchen aus Rumänien. Tipp: Doch lieber Murnaus Meisterwerk streamen und sich wirklich gruseln.
Foto: Fritz Geller-Grimm via WikiCommons