Ruhe vor dem Sturm
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Kann Theater Selbstironie? Mit dem Stück „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“, der Autorin Theresia Walser, bietet das Mainzer Staatstheater auf jeden Fall für Theaternerds ein paar bitterböse Lacher.
von Isabel Page
Wer auf reiche Bühnenbilder oder Kostüme steht, ist in diesem Stück fehl am Platz. Liebhaber:innen pathetischer Monologe und sarkastischer Streitgespräche allerdings kommen voll auf ihre Kosten. Ein roter Teppich, drei Stühle und ein wackeliges Tischchen bilden die Kulisse für die drei Schauspieler, die in einer Podiumsdiskussion über die Darstellbarkeit Hitlers diskutieren sollen. Ulrich (Benjamin Kaygun), der bisher nur Goebbels gespielt hat, soll wohl daran als der Jüngste der Runde erkannt werden, dass er bunte Socken und Sneaker zum Anzug trägt. Außerdem, wie das so ist mit den jungen Leuten, versprüht er einen aufrührerischen Geist und will das Theater am liebsten auf den Kopf stellen. Damit bringt er vor allem die anstrengende, sich selbst zu ernst nehmende Schauspielkoryphäe Franz in Rage, herrlich peinlich von Klaus Köhler gespielt. Der irgendwie dazwischen stehende Peter (Vincent Doddema) scheint sich trotz Rollkragenpullover weniger Sorgen über theoretische Fragen bezüglich der Identität des Theaters zu machen, als darüber, ob seine Frau beim Sex in ihm jetzt Hitler sehe.
In der Frage nach der Darstellbarkeit Hitlers begegnen sich in Form der drei Figuren verschiedene theatertheoretische Standpunkte von Stanislawskis Naturalismus über Brechts erzählendes Theater bis hin zu Diderots Aufforderung der Ungerührtheit des Schauspielers. Während der Methodactor „das Böse in sich sucht“, um Hitler darzustellen, will sein Widersacher neben seiner Rolle stehen, um diese distanziert, gar ironisch kommentieren zu können. Er proklamiert stolz, dass er sich so immerhin nicht zum Sklaven des Hitler habe machen lassen. Es stellt sich die Frage, ist es schlimmer, Hitler als bemitleidenswerten Menschen oder als Witzfigur darzustellen? Und überhaupt, dürfen Deutsche denn stolz darauf sein, eine Rolle als Hitler ergattert zu haben?
Mehr als um die inhaltliche „Hitlerfrage“ drehen sich die Diskussionen, ganz nach Theatermanier, um die Schauspieler und die Rolle des Theaters selbst. Modernes versus klassisches Theater, „Atmosphäre-Terror“ gegen Textfetischismus. Sollte Theater politisch sein, provozieren und die Welt verändern oder darf es schlichtweg Liebe zur Sprache sein, Kunst um ihrer selbst willen? Und wie steht es um die Wirklichkeit, muss diese auf die Bühne geholt werden, oder ist Theater nicht bereits in die Wirklichkeit eingebettet? Das von Leonardo Raab inszenierte Stück schafft es, innerhalb von kurzer Zeit eine Vielzahl der für den Theaterdiskurs relevanten Fragen nicht nur aufzuwerfen, sondern auch unterhaltsam zu diskutieren.
Zwar ziehen sich die Theater-Insidergespräche während der ersten Hälfte des Stückes noch etwas, im Laufe der zweiten Hälfte aber fangen die Diskussionen und Gemüter Feuer. Dann wird geschrien und gefuchtelt und zwischen all den Worten, man kennt und liebt es, fliegt schon auch mal die Spucke. Die maßlos übertriebenen Charaktere eifern mit den karikativen Wortgefechten um Lacher. Spätestens als der zum Schauspielerdasein berufene, ständig ungefragt über seine Kindheit sprechende, ganz in schwarz gekleidete Franz verzweifelt durch den Saal hüpft, um bloß immer im Schein des Lichtspots zu stehen, wird das Stück so witzig, wie es versucht zu sein. Gegen Ende des Stücks fällt plötzlich etwas auf die Bühne, es fliegen ein paar Federn, es sieht aus wie ein toter Vogel. Bei all dem männlichen Ego-Gehabe auf der Bühne drängt sich die Konklusion auf, dass ein bisschen Federn rupfen diesen Hähnen tatsächlich ganz gut täte.
Walser ließ sich zu dem Stück durch TV-Talkshows inspirieren, in denen zur Zeit der Veröffentlichung des Filmes „der Untergang“, diskutiert wurde, wie und ob man Hitler spielen dürfe. Über diese Frage hinaus handelt es aber vor allem von der Absurdität der Theater- und Schauspielwelt, und letztlich auch von der Komik gescheiterter Kommunikation. Besonders interessant ist es für Theaterkenner- und Mitdenker:innen, die Lust haben nach dem Stück über verschiedene Theater- und Kunstverständnisse zu diskutieren. Wer miterleben will, wie Theater sich mit ungewohnter Distanz einmal selbst auf die Schippe nimmt, hat die Möglichkeit sich das Stück „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ am 27. Dezember im kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters anzusehen.
Foto: Andreas Etter