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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 36: Der Kranich

von Konstantin Mahlow

Wer im Oktober oder November durch die herbstliche Landschaft des STUZ-Gebiets wandert, vernimmt bisweilen trompetenartige Laute aus Richtung des grauen Himmels. Meist dauert es dann nicht lange, bis man die fliegende V-Formation entdeckt hat: Kraniche fliegen auf der sogenanten Hessenroute übers Land, nachdem sie ihre Brutgebiete im nördlichen und östlichen Europa verlassen haben. Bis zu 300.000 Kraniche machen sich jährlich auf den Weg in ihre Überwinterungsgebiete, die über Hessen und Rheinland-Pfalz fliegenden Vögel vor allem nach Andalusien und Extramaduara. Dabei quasseln sie unentwegt miteinander, weshalb man die riesigen Vögel oft schon hört, bevor man sie sehen kann.

Sogar der Name des Kranichs (Grus grus) deutet auf ihre Kommunikationsfreudigkeit hin. Der altdeutsche Begriff bedeutet so viel wie „Krächzer“ oder „heiserer Rufer“ und ist letztendlich nichts anderes als eine lautmalerische Beschreibung ihrer Stimme. Die verschiedenen Rufe spielen genauso wie ihr hochsensibler Gehörsinn eine wichtige Rolle für das Sozialleben der Kraniche – besonders dann, wenn sie auf zwei Kilometern Höhe untereinander kommunizieren müssen. Ungefähr genauso weit sind ihre Rufe dank ihrer bis zu 130 Zentimenter langen, als Trompete fungierenden Luftröhre in offener Landschaft zu hören. An der Spitze der V-Formation, auch Winkelflug oder Keilformation genannt, fliegen die Leitvögel. Mit ihrem Flügelschlag erzeugen sie einen Sog, der die Nachzügler mitzieht und so für eine erhebliche Energie-Ersparnis innerhalb der ganzen Gruppe sorgt. Ist der Leitvogel platt, übernimmt ein anderer die vorderste Position. Die Gruppe setzt sich meist aus Paaren und kleinen Familien zusammen.

Jetzt im Herbst führt sie der westeuropäische Zugweg gen Süden über das Rhein-Main-Gebiet, bei schlechten Wetter kommt es hin und wieder zu Rastpausen auf weiten Feldern, Auen und Wiesen. Zuvor haben sie in Skandinavien, dem Baltikum, in Polen, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern in Feuchtwiesen und Mooren gebrütet. Ihre relativ geradlinige Flugroute führt die Kraniche aus Nordostdeutschland genau über unsere Köpfe hinweg. Ein alljährliches Schauspiel, das sich im Frühjahr in umgekehrter Richtung wiederholt. Mit ihrer gewaltigen Flügelspannweite von bis zu 2,40 Metern schaffen Kraniche Non-Stop- Flüge von 2000 Kilometern. Üblich sind jedoch Tagesetappen von 50 bis 100 Kilometern. Ihre Energievorräte füllen sie mit einem breiten Angebot an tierischer wie pflanzlicher Nahrung auf, während ihrer Rasten im STUZ-Gebiet vor allem mit Insekten, Ernteresten und Neusaaten.

Der NABU und andere Organisationen bieten im Netz Karten über die Flugrouten der Kraniche in Echtzeit an und kommentieren fortwährend die Entwicklung des Zugs. Alle paar Tage informiert etwa der NABU Hessen über Anzahl und Verhalten der Tiere. So hat man nicht nur auf gut Glück die Chance, die imposanten Vögel zu beobachten. Außerdem erfährt man viel über die Hindernisse, die die Kraniche auf ihrer intrakontinentalen Reise überwinden müssen – oder denen sie aus den Weg gehen. So flogen während der deutschlandweiten Herbststürme Ende Oktober kaum Kraniche über Hessen. Immerzu warten sie auf die bestmöglichen Bedingungen zum Fliegen, im Herbst besonders auf den Ostwind, der sie nach Spanien bringt.

Glücklich kann sich übrigens der schätzen, über dessen Haupt die Kraniche fliegen. In praktisch allen Kulturen, in denen Kraniche existieren, steht ihr Erschienen in Verbindung mit Glück, Langlebigkeit, manchmal auch Weisheit oder einer bevor stehenden Geburt. Das Firmenlogo der Lufthansa ziert zahllose Wappen und taucht in einer Fülle von Gedichten und Liedern auf. Und die monogamen Vögel symbolisieren seit jeher die Treue. Zu einem Partnerwechsel kommt es nur, wenn einer der beiden Kraniche stirbt. Bis dahin sind sie vielleicht schon viele Jahre gemeinsam über das STUZ-Gebiet geflogen, während wir unten leise ihre Stimmen vernommen haben.

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