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Wohnst du schon oder schleimst du noch?

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Wer schon mal auf WG-Suche war, weiß, es ist kein Zuckerschlecken. Es ist schwer zu sagen, ob WG-Castings eher einem Trauerspiel oder eine Komödie ähneln, aber Meisterwerke der Selbstinszenierung sind sie ganz gewiss. Hier ein paar Erfolgsregeln für deine nächste Suche.

von Isabel Page

Trotz Semesterferien habe ich unverhofft eine neue Vollzeitbeschäftigung: WG-Zimmer- Suche. Seit drei Wochen sitze ich vor dem Laptop und scrolle durch WG-Gesucht, Kleinanzeigen und sogar Facebook. Ja, so verzweifelt ist die Lage. Unzählbar oft habe ich die gleichen Phrasen in WG-Anzeigen gelesen: “Wir sind absolut keine Zweck-WG“ oder „Bei einem oder auch drei kühlen Bier lassen wir gerne gemeinsam den Abend ausklingen“. Beim Durchlesen dieser Anzeigen könnte der Eindruck entstehen, es gebe in der ganzen Stadt keine einzige WG, in der nicht alle Mitbewohnerinnen beste Freunde sind. Ist man dann vor Ort fällt auf, dass Max den Nachnamen von Lukas auch nicht kennt, ohne vorher auf das Klingelschild zu schauen. Kurz: Taucht man in die Welt der Wohngemeinschaften ein, findet man sich schnell in einem Parallelkosmos mit eigenen Spielregeln wieder.

Die erste Spielregel lautet: Presse deine ganze Identität in fünfzeilige Nachrichten und beweise, dass du stadtweit der coolste, interessanteste und gleichzeitig entspannteste Mensch bist. Jede Nachricht muss hoch individuell sein, auch noch nach dem fünfzehnten Anlauf. Zweite Regel: Wirst du zu einem sogenannten „Casting“ eingeladen, dann tu so als würdet ihr euch schon ewig kennen, auch wenn ihr euch noch nie begegnet seid. Dritte Regel: nie über Dinge reden, die für ein Zusammenleben tatsächlich von Relevanz sind. Erwähne bloß nicht, dass du im Stehen pinkelst und dass du deine Haare nach dem Duschen nicht aus dem Abfluss fischst. Niemand will mit der Realität gelangweilt werden. Dass du nicht weißt, wie man ein Spülmaschinensieb reinigt, dass du zweimal die Woche Thunfischpizza in der Mikrowelle aufwärmst und dass du beim Sex klingst wie ein Orang-Utan, werden sie noch erfahren, wenn es zu spät ist. Viel wichtiger ist es für die Menschen, mit denen du potentiell zusammenleben wirst, zu wissen, dass du regelmäßig boulderst, gerne Breaking Bad schaust und Aperol-Spritz auch ganz toll findest. Wenn man dann beim Duschen barfuß in den Schamhaaren von jemand anderem steht, kann man sich immerhin sagen: „wenigstens ist sie cool“. Vierte Regel: Wenn jemand fragt, zahlst du natürlich gerne einen Abschlag von 300 Euro für die nach Tod duftende Waschmaschine, die der Vorgänger des Vorgängers gekauft hat! Zu guter Letzt: Schreibe in deiner Nachricht, dass du selbstverständlich gerne Spielabende magst, auch wenn du weißt, dass in allen WGs, in denen du bisher gewohnt hast, eine drei Zentimeter dicke Staubschicht alle Brettspiele bedeckt.

Erlangt man auch im ganzen Studium nicht eine lebenspraktische Fähigkeit, so macht uns wenigstens die WG-Suche zu Amateurmaklerinnen und Identitätsmanagern. Spätestens nachdem du dich dabei ertappst, wie du das erste Sixpack Bier oder die selbstgebackenen Muffins zum Casting mitbringst und wie nebenbei von deinem Staubsaugerroboter erzählst, beherrschst du das Schleimen auf Profi-Niveau und bist perfekt für das Berufsleben gerüstet.

Immer und überall geht es um Konkurrenz. Mach dich sichtbar, zeig wie toll du bist! Klar ist es erwartbar, dass Dating-Apps eine große Selbstinszenierungsshow sind, aber nicht nur da muss man bezahlen, um seine „Sichtbarkeit“ zu erhöhen, sondern jetzt auch auf Vermittlungsplattformen für Wohnungen. Es würgt mich, wenn ich sehe, dass ich hier auch Premium- und Plusmitgliedschaften abschließen soll, um die Sichtbarkeit von Gesuchen und Anzeigen zu erhöhen. Die Marktlogik lässt nicht einmal einen Bereich unberührt, in dem es doch eigentlich um ein Miteinander gehen sollte. Strikt getaktete, dreißigminütige Castings triefen von Identitätsverhökerungslogik und die teilweise horrend hohen Zimmerpreise, die entscheiden, wer ein Wohnzimmer haben darf und wer nicht, haben mit Bildungs- und Chancengleichheit nichts zu tun.

Während soziale Medien, Job-Interviews und Dating-Apps ständige Selbstinszenierung verlangen, träume ich doch nur von einem Ort, an dem gemeinsam im Schlafanzug die Zähne geputzt werden und man auch das teure Rühreigewürz miteinander teilt. Aber bis dahin mache ich jetzt noch eine Runde Gesichtsyoga, um den Grinsemuskelkater auszudehnen, sehne mich nach einer WG mit Balkon und hoffe, dass ich ohne Identitätskrise davon komme.

Illustration: Nikolas Hönig

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