Seelischer Beistand bei Notfällen und Tod
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Das Team der „Seelsorge in Notfällen e.V.“ (SiN) unterstützt Wiesbadener Rettungskräfte wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst seit 30 Jahren bei Einsätzen in der akuten Notfallseelsorge.
von Inken Paletta
Pfarrer Andreas Mann, selbst ausgebildeter Rettungssanitäter, ist einer der Gründungsmitglieder von SiN. Während seiner Diensteinsätze mit dem Rettungswagen fiel ihm auf, dass die akute Notfallseelsorge vor Ort oft zu kurz kommt. „Feuerwehr, Polizei oder der Rettungsdienst haben oft schon mit der Situation selbst alle Hände voll zu tun“, meint er. Gemeinsam mit ein paar anderen in der Seelsorge Aktiven entstand so die Idee zur Schaffung eines flächendeckenden Versorgungsnetzes für akute Notfallseelsorge in Wiesbaden. 1993 wurde dazu der Verein „Seelsorge in Notfällen e.V.“ in Wiesbaden als erster seiner Art in Hessen aus der Taufe gehoben. Mittlerweile hat sich der Verein etabliert und ist gut mit den örtlichen Einsatzkräften und der Leitstelle vernetzt.
Einsatz zumeist im häuslichen Umfeld
Große Unglücke wie Flugzeugabstürze, Busoder Bahnunglücke machen nur einen kleinen Teil der Arbeit aus. „95 Prozent unserer Einsätze finden im häuslichen Umfeld statt“, erzählt Vorstandsmitglied Pia Baum, die hauptberuflich beim Wiesbadener Ordnungsamt arbeitet und seit zehn Jahren im Verein als Notfallseelsorgerin aktiv ist. „Wir kümmern uns zum Beispiel bei Todesfällen wie Plötzlichem Kindstod, Selbstmord oder wenn ein älterer Mensch verstirbt, um die Angehörigen. Oder wir informieren mit der Polizei die Hinterbliebenen, wenn jemand bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist.“ Hin und wieder werden sie von der Polizei auch zum Einsatz gerufen, wenn häusliche Gewalt im Spiel ist oder wenn Menschen aufgrund psychischer Probleme zu ihrer eigenen Sicherheit zwangseingewiesen werden müssen. Geschaut wird auch, ob nach der akuten Notfallseelsorge weitere Betreuung durch einen Psychologen oder durch andere Institutionen notwendig wird. Das sei oft bei älteren Leuten der Fall, wenn der pflegende Angehörige verstirbt. Die pflegebedürfte Person bleibt dann allein und hilflos zurück, weil oft keine Angehörigen verfügbar sind, die die Betreuung übernehmen können.
Akzeptanz ist hoch – Doch Evangelische Kirche setzt Rotstift an
„Notfallseelsorge genießt heutzutage eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz und gehört mittlerweile zur Grundausbildung aller Rettungskräfte. Das war vor 30 Jahren anders“, erklärt Mann. Das zeige sich auch in der Einsatzfrequenz. „Zu Gründungszeiten wurden wir zu rund 40 Einsätzen im Jahr gerufen. Heute sind es 150 bis 200. Das sei mit den aktuell 25 Aktiven bei der Erstellung des Dienstplanes jeden Monat eine Herausforderung. Über Verstärkung im Teams würden wir uns daher sehr freuen“, meint Mann, dessen Stelle je zur Hälfte als Beauftragter für Notfallseelsorge der Landeskirche sowie als Fachberater der SiN in Wiesbaden nicht mehr besetzte werden soll, wenn er nächstes Jahr in den Ruhestand geht. Denn die Evangelische Landeskirche von Hessen und Nassau will vier der aktuell neun Sonderpfarrstellen für Notfallseelsorge streichen. Ein Armutszeugnis, findet Mann, denn gerade für dieses Amt sollte seiner Meinung nach auch die Kirche Hauptamtliche zur Verfügung stellen. Zum Glück gehören derzeit so viele engagierte Ehrenamtliche aus anderen Berufsfeldern zum Team.
Grundausbildung und Hospitanz bei Einsätzen bereitet auf Einsatz vor
Auf ihre Arbeit werden die Aktiven in einer 120-stündigen Grundausbildung vorbereitet, die sich an bundesweiten Standards orientiert. „Vieles lernt man nach der Ausbildung vor allem on the Job, die Grundausbildung ist sozusagen der Werkzeugkoffer. Allerdings sollte man für das Ehrenamt unbedingt eine Affinität zum Arbeiten mit Menschen mitbringen“, so Pia Baum. Neben Gesprächsführung und Kommunikation spiele auch das Thema eigene Psychohygiene in der Ausbildung eine wichtige Rolle. „Jeder Kollege handhabt das für sich ein wenig anders“, erklärt Baum und ergänzt: „Ich schaffe mir zum Beispiel Distanz, in dem ich bewusst bei jedem Einsatz mit dem Anziehen meiner Dienstkleidung in meine Rolle als Notfallseelsorgerin hinein gehe und nach dem Einsatz auch bewusst wieder in meine private Rolle zurückkehre.“ Selbstreflexion, der Austausch mit Kollegen und auch Supervision im Team über die Einsätze helfen den Aktiven dabei, das auf den Einsätzen Erlebte zu verarbeiten. „Bei Bedarf können wir auch eine Psychologin zeitnah hinzuziehen“, betont Andreas Mann und ergänzt: „Das Ehrenamt als Notfallseelsorger ist psychisch sicher herausfordernd, aber die Dankbarkeit der Menschen, denen wir akut helfen konnten, ist das was zählt.“
WTF
Seelsorge in Notfällen e.V. (SiN) in Wiesbaden
Tel.: 0611-419210
Mail: sin.wiesbaden@t-online.de
Die nächste Grundausbildung startet voraussichtlich im neuen Jahr. Wer Interesse an einem Ehrenamt als Notfallseelsorger hat, kann über die Website, per Telefon oder Mail Kontakt zum Verein aufnehmen.
sin-wiesbaden.de