Von Goldfischen und Ambitionen
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Dass ausgerechnet das Werk einer Initiative vom Mainzer Arc Film Festival zum Sinnbild für Kulturentwicklungen der Stadt wird, war niemals beabsichtigt. Eine kleine Geschichte in einer engen Welt. „Edifice 129“ ist das überspitzte Portrait von Einsamkeit.
von Linda Gasser
Die Collaboration Across Borders, kurz CAB, ist dem Arc Film Festival entsprungen. Filmemacher arbeiten von unterschiedlichen Ländern aus gemeinsam an einer Geschichte. Über zahlreiche Video-Meetings entstand so der Film „Edifice 129“. Ähnlich der Writers-Room-Methode, nach der Serienkonzepte entwickelt werden, haben die Filmemacher des CAB zwar in unterschiedlichen Ländern gedreht, jedoch finden sich die Sequenzen im Film in einem Gebäude zusammen. Im „Edifice 129“, einem isolierten Hochhaus. Die Natur ringsherum hat sich längst einen Dschungel zurückerobert. Die verbliebenen Bewohner verlassen das Gebäude seit Jahren nicht. „Keep the silence“(„Bleibt still“), mahnt der TV-Announcer, der dazu erklärt, dass es Tag 4.487 ist. Es sind noch 1.071 Tage verbleibend. Die Bewohner der Etagen ahnen nur voneinander. Sehnsüchtig versucht Alice Geräusche aufzusaugen in der stillen Welt. So wird der vorbeifahrende Zug zum Genuss ihres Tages. Jack hingegen versinkt mit Kopfhörern in alten Aufnahmen. Herrmann bereitet routiniert Frühstück für seine Frau und spricht mit ihr durch die Tür. Ob sie überhaupt noch lebt? Die aufgezählten Tage in den TV-Ansagen scheinen wirr, doch dann verkündet der Announcer plötzlich den Day Zero. „We proudly announce that we are all free to begin a new life.“
Eine surreale, absurde Welt in der Stille zum Leitmotiv eines autoritären Systems wird. Es ist eine kulturkarge Welt. Bei bisherigen Episodenfilmen, in denen verschiedene Regisseure je einen Teil übernehmen, sind die einzelnen Episoden abgeschlossen und werden nacheinander gespielt, wie etwa in „Four Rooms“, unter anderem von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez. In der engen Zusammenarbeit beim CAB jedoch ist eine Welt entstanden, in der die Episoden eng miteinander verflochten sind. Die Sequenzen der Regisseure reagieren aufeinander und so entstand ein Film, in einer Machart, die es bisher nicht gegeben hat. Im Zusammenbringen internationaler Talente hat das Arc seit Anbeginn eine entzündete Kraft verstanden.
Wir wünschten es wäre nicht so sinnbildhaft: Ausgerechnet zur Zeit der Fertigstellung dieses Films muss das Arc Film Festival Ruhe bewahren. Das Team arbeitet das ganze Jahr unermüdlich an Filmauswahl und der Planung, damit Publikum und internationale Gäste das Beste aus ihrer Woche in Mainz beim Arc Film Festival mitnehmen können. Seit 2017 lädt das Festival Filmemacher nach Mainz ein und ist progressiv, wenn es darum geht sie zu fördern und ihre Zeit hier zu einem besonderen Ereignis zu machen. Doch die finanziellen Budgets schrumpfen, während die Ausstattung teurer wird. Das Festival- Team hatte sich erhofft, durch eine niedrigere Frequenz von lediglich zwei Jahren konsequenter planen zu können und durch die Stadt unterstützt zu werden.
Das Team vom Arc besteht aus Kämpfern für die Sache, für das Kino. Das Rhein-Main Gebiet beherbergt viele Medienschaffende. „Wenn Berlin ein Haifischbecken ist, dann ist Mainz ein Goldfischglas“, hatte einmal Claudia Tronnier, damals Chefredakteurin des Kleinen Fernsehspiels, gesagt. Und hier in diesem Goldfischglas hatte das kleine, aber vitale Internationale Festival einen wichtigen Platz gefunden. Es ist viel zu verlieren. Ein Internationales Festival stark zu machen, birgt nicht nur das Potenzial einer ungemeinen Strahlkraft für die Stadt. Es ist auch für die hier ansässigen Studiengänge Zeitbasierte Medien und Filmwissenschaft, sowie die zahlreichen Kreativen, Filmliebhaber und natürlich die Filmszene selbst von großem Wert.
Dass Rheinland-Pfalz seit 2021 endlich eine Film- und Medienförderung hat, war ein großer Fortschritt und so ist zu hoffen, dass weniger der Goldfische über den Rhein auf die hohe See auswandern. Wenn die Szene in einem Goldfischglas schwimmt, dann wird das Glas um sie herum einmal mehr getrübt. Nachdem Ende Juni abzusehen ist, dass die erhoffte Unterstützung für das Austragungsjahr 2023 nicht kommt, wird eine Auswahl der Filme in einem Online- Format vorbereitet. Ein herber Schlag in dem gleichen Jahr, in dem die Filmtheater Capitol und Palatin schließen.
Das Team vom Arc Film Festival macht weiter und in Zukunft wollen wir wieder zusammenbringen, was zusammengehört: starke Geschichten und ihr Publikum! Einblicke ins Rahmenprogramm und baldige Neuigkeiten gibt’s unter: arc-filmfestival.com oder natürlich auf Instagram @arcfilmfestival