Elektrosensibel in einer digitalen Welt
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Der 16. Juni war Tag der Elektrosensibilität. Ein Datum, das den Menschen gewidmet ist, deren Gesundheit sich in der Nähe von künstlicher Strahlung verschlechtert. Für die einen hypochondrischer Unfug, für die anderen knallharte Lebensrealität.
von Hannah Maertin
Viele Menschen, die nicht von Elektrosensibilität betroffen sind, hantieren tagtäglich mit kabellosen und damit strahlenbasierten Geräten. Das Handy begleitet sie auf Schritt und Tritt und in Innenräumen läuft das WLAN permanent. Im Freien bewegen sie sich, ohne einen Gedanken daran zu verlieren, dass es auch hier künstliche elektromagnetische Felder gibt, erzeugt durch Rundfunkantennen, Satelliten und öffentliche WLAN-Hotspots. Gänzlich anders gestaltet sich der Alltag von Personen, die körperliche Symptome verspüren, sobald sie mit genau diesen Feldern in Kontakt kommen. Sie klagen über Kopfschmerzen, Übelkeit, Konzentrationsschwäche, Artikulations- und Koordinationsprobleme, Ohrensausen, Schlafstörungen und andere körperliche Symptome. Viele von ihnen führen ein buchstäblich isoliertes Leben jenseits der Städte, denn im urbanen Raum kommt es zur massivsten Strahlenbelastung. Anders als in Schweden, wo Elektrosensibilität als körperliche Beeinträchtigung anerkannt wird und Krankenhäuser über strahlungsgeschützte Behandlungsräume verfügen, werden Betroffene in Deutschland bislang nicht ernst genommen.
Was ist Strahlung?
Allgemein gesprochen, ist Strahlung die „Ausbreitung von Energie in Form von Wellen oder Teilchen“. Sie ist ein grundlegendes Prinzip unserer natürlichen Lebenswelt, denn auch Sonnenlicht ist eine Form von Strahlung. Im technologischen Kontext kann Strahlung die kabelbasierte Energieübertragung ersetzen, wie zum Beispiel bei WLAN und Mobilfunk.
Die Überzeugung, dass elektrosensible Personen lediglich an eingebildeten Symptomen leiden, fußt unter anderem auf dem Argument, dass die uns im Alltag umgebende Strahlung bestimmte Grenzwerte einhält und dadurch keine Veränderungen in organischem Gewebe hervorrufen kann. Der einzige Effekt sei eine leichte thermische Wirkung. Als gänzlich ungefährlich gelten alltägliche Strahlungsquellen jedoch auch nicht. Obwohl das Bundesamt für Strahlenschutz Entwarnung gibt, ist die Überzeugung weit verbreitet, dass das Handy in der Hosentasche einen schädlichen Einfluss auf die männliche Fertilität hat und auch die Frage nach einem erhöhten Krebsrisiko steht im Raum.
Gesundheit als Spiegel der Umwelt
Die Initiative Diagnose:funk hat es sich zur Aufgabe gemacht, über potentielle Gefahren aufzuklären, die durch WLAN und Co. entstehen können. Gesundheitsschäden in Folge von künstlicher Strahlung seien im wahrsten Sinne des Wortes „vorprogrammiert“, heißt es in einer ihrer Info-Broschüren. Denn die Kommunikation innerhalb des Körpers basiere nicht nur auf chemischen, sondern auch auf elektrischen Signalen, die von künstlich erzeugter Strahlung gestört werden könnten. Durch den Ausbau der mobilen Infrastruktur und 5G-Technologie würden diese Risiken verstärkt und die Zahl elektrosensibler Personen weiter steigen, warnt die Initiative.
Ein interessanter Punkt, der in diesem Kontext ins Feld geführt wird, ist der massive Anstieg der Internetnutzung und der damit einhergehende Stromverbrauch. Dabei beruft sich Diagnose:funk auf eine Studie der TU Dresden, laut der das World Wide Web im Jahr 2030 so viel Strom benötigen wird, wie die gesamte Weltbevölkerung im Jahr 2011. Ein Anstieg kranker oder sich krank fühlender Menschen ist in Hinblick auf diesen Ressourcenbedarf nicht unplausibel.
Rückzugsorte schaffen
Triftige Argumente gibt es auf beiden Seiten; der technologische Fortschritt als Fluch und Segen zugleich. Schwierig zu bewerten ist das Leiden elektrosensibler Personen, da es auf subjektivem Empfinden basiert und bislang nicht belegt werden konnte. Trotzdem sollten Menschen mit derartigen Beschwerden nicht als psychisch krank stigmatisiert werden. Unser Wissen über die Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Organismus ist noch lange nicht ausgereift; womöglich entdeckt man die Ursache des Problems erst in der Zukunft. Bis dahin könnte man erste lösungsorientierte Schritte einleiten und Rückzugsorte für Betroffene schaffen. Denn egal, welche Ursache ihr Leiden hat, sollten auch sie über das Recht verfügen, barrierefrei zu leben.
Illustration: Nikolas Hönig